Zwei Reisen zur Erkundung der Lage der Ashkali und Roma im Kosovo Diese Reisen zur Erkundung der Lage der Ashkali und Roma im Kosovo führte ich in Kooperation mit dem Verein Oekumenischer Dienst e.V., Mittelstrasse 4, 34474 Diemelstadt, durch, über den meine Aufgabe von der Stiftung Die Schwelle finanziert wurde.
Ashkali und Roma - Klärung der Begriffe Albaner unterscheiden nicht zwischen Ashkali und Roma. Beide Bevölkerungsgruppen sind in der Regel an ihrer dunklen Hautfarbe zu erkennen. Gleichwohl findet man bei Roma und Ashkalija auch gelegentlich den blonden und hellhäutigen Typus. Entgegen einer bei uns weitverbreiteten Ansicht sind die Roma im Kosovo seit langem in ihrer weit überwiegenden Mehrheit sesshaft. Dieses gilt umso mehr für die Ashkalija. Viele Ashkalija und Roma waren weitgehend in die Gesellschaft integriert und sind gut ausgebildet. Es gibt unter ihnen Ärzte, Anwälte, Lehrer, Techniker, Krankenpfleger und Krankenschwestern, arbeitsame Handwerker und erfolgreiche Kaufleute. Die Gemeindeverwaltungen beschäftigten überproportional viele Roma und Ashkali in der Stadtreinigung. Unsere Vorstellung vom umherziehenden, nicht arbeiten wollenden Zigeuner, der sich und seine Familie durch Diebereien und Betteln ernährt, treffen nicht die Wirklichkeit. Roma stammen aus Indien; das belegen kultur- und sprachwissenschaftliche Forschungen. Sie sind im Kosovo seit alters her seßhaft, bis auf einige kleine Gruppen nomadisierender Çergara-Roma. Die Roma des Kosovo sind mehrheitlich Moslems, wie auch in Albanien, Mazedonien, Bosnien, Bulgarien zum Teil in Serbien und auch in Griechenland. Häufig sind sie Anhänger von Derwischorden und haben wenig Kontakt mit der Moschee. In der Gegend um Urosevac/Ferizaj leben auch Roma orthodoxen Glaubens. Die Roma sprechen als Muttersprache in der Familie und untereinander Romanes, die Sprache der Roma. Sie unterscheiden sich untereinander einerseits durch die Zugehörigkeit zu verschiedenen großen Sprachgruppen der Roma, wie Arli und Vlah, andererseits durch die Zugehörigkeit zu verschiedenen Untergruppen, die sich durch im großen Familienverband ausgeübte traditionelle Berufe definieren und jeweils ihren eigenen Dialekt sprechen. Am bekanntesten sind die Schmiede - Kovac oder Bugurdzi, sowie die Pferdehändler - Dzambaz. Aus beiden Gruppen stammen die vornehmsten Roma - Familien. Die meisten Roma leben in bitterer Armut.
Ashkali auch Ashkalija, Ashkalije, Hashkali, hingegen betrachten sich als eine eigenständige Volksgruppe. Sie wollen nicht mit den Roma identifiziert werden. Sie glauben, mit den Heeren Alexanders des Großen auf den Balkan gekommen zu sein. Seit ein paar Jahren wird Persien als ihr Ursprungsland genannt. Die Ashkalija sind durchweg Moslems. Auch bei ihnen finden Derwischorden eine breite Anhängerschaft. Die Muttersprache der Ashkalija ist albanisch. Wie im Kosovo üblich, beherrschen auch sie als Zweitsprache Serbo-Kroatisch, viele auch Romanes. In der Familie, wie auch untereinander, wird ausschließlich albanisch gesprochen. Die Kinder besuchten traditionell die albanische Schule. Ihre Sitten und Gebräuche entsprechen denen der Albaner. Ihre sozio-kulturelle Identität ist das albanisch geprägte Kosovo. Gleichwohl pflegen sie eine eigene Musikkultur. Geburt, Heirat und Tod werden von Riten begleitet, die sich von denen der Albaner unterscheiden.Anders als die Albaner feiern sie den St.Georgstag (Shën Gjergj, Djordjev Dan) nach Art der Roma. Manche nennen sich Egjyptian, Ägypter. Deren Führer vertreten die Ansicht, die Ägypter, seien im fünften Jahrhundert vor Christus auf den Balkan gekommen, und wollen dieses mit archäologischen Funden und anderen Quellen beweisen. Sie bemühen sich, auf diesem Weg sich von den Roma distanzieren zu können. Die klassische Archäologie und Ethnologie kann diese Theorie bislang nicht bestätigen. Bei den regelmäßigen Volkszählungen im früheren Jugoslawien, bei denen auch nach der Volkszugehörigkeit gefragt wurde, erklärten sich die Ashkalija als Albaner. Eine offiziell anerkannte Minderheit Ashkali gab es nicht und gibt es bis heute nicht. Daher stammt der Ausdruck Albaner zweiter Klasse - Shiptar i dorës së dytë. Die Roma halten sie für assimilierte Roma, die ihre Kultur und Sprache im Lauf der letzten Generationen verloren haben .Tatsächlich sind die Grenzen fließend. Die Bezeichnung Ashkali oder Egjyptian, Ägypter für diese Bevölkerungsgruppe finden wir nur im albanischen Siedlungsgebiet. In Albanien werden sie auch Evgjit genannt. Die Bewegung der Ägypter erreichte ihren Höhepunkt vor zehn Jahren, als Albaner und Serben in die heiße Phase ihrer Auseinandersetzungen eintraten. Durch ihre Nähe zur serbischen Politik wurde faktisch die albanisch sprechende Minderheit der Ashkali gespalten. Die führende Person der Ägypter nahm dann auch an der serbischen Seite an den Verhandlungen in Rambouillet teil. Heute finden zwischen den Führern der Ägypter (Shoqata e Egjyptianeve) und der Ashkalija (Shoqata Ashkanli Shqiptar - mit dem albanischen Adler), erbitterte Machtkämpfe auch in Deutschland statt. Beide Gruppen wiederum wollen nicht mit den Roma zusammenarbeiten.. Bedauerlicherweise wird somit die Minderheit der Ashkalija und Roma dreifach gespalten und kann nicht mit einer Stimme ihre Interessen vertreten.
Erste Reise von
01.09.1999 bis 12.09.1999 Sondierungsreise zur Lage der Roma und Ashkalia im Kosovo
Mittwoch, 01. 09. 99 Donnerstag 02.09.99 Auf die Frage nach Belästigungen der Katholischen Kirche im Kosovo durch albanische Extremisten, meint sie, das seien Vorfälle minderen Ranges, hervorgerufen durch Unwissenheit der einfachen ländlichen Bevölkerung, die die Unterschiede der katholischen Kirche zur serbisch-orthodoxen Kirche nicht kennen. Sie ist offensichtlich bemüht, Zurückhaltung bei einer Einschätzung der Lage im Kosovo zu üben. Nicht weit von der katholischen Kirche ist bereits ein Tempel einer amerikanischen fundamentalistischen Sekte anzutreffen. 12:30-15:00 h Interview mit Jonuz Tërstena (Minister des Inneren der Bukoshi-Regierung). Herr Tërstena stellt mir die Problematik eines künftigen Innenministers des Kosovo vor. Neben Sicherheitsfragen sieht er große Schwierigkeiten im Personenstandswesen auf das Kosovo zukommen. Ein großer Teil der Standesamtunterlagen in mehreren Rathäusern seien verschwunden. Hierfür sieht er mehrere Gründe: · Die Unterlagen sind von Einheiten nach Serbien beim Abzug mitgenommen worden.·Die Unterlagen sind im Zusammenhang mit Kriegshandlungen zerstört worden. ·Die Unterlagen wurden von Paramilitärs vernichtet. Ein weiteres großes Problem stellen die teilweise verschwundenen Unterlagen der Katasterämter dar. Hier könnten seiner Einschätzung nach viele Streitigkeiten um Grund und Boden nicht zweifelsfrei geklärt werden. Wie bei den Personenstandsunterlagen seien dieselben Gründe: · Unterlagen einiger Katasterämter seien beim Abzug des serbischen Militärs nach Serbien verbracht worden·Unterlagen seien bei Kriegshandlungen zerstört worden ·Unterlagen seien von serbischen Paramilitärs planmäßig zerstört worden. Außerdem hätten die Sicherheitskräfte bei Vertreibungen häufig sämtliche Unterlagen im Besitz der albanischen Familien mutwillig und geplant vernichtet, darunter auch Besitzurkunden über Grundbesitz. Weiter sieht Herr Tërstena große Sicherheitsprobleme als Folge des Machtvakuums und der, wie er meint, Unprofessionalität der Regierung aus dem Wald, wie er die Regierung der UÇK nennt. 16:30 h. Kurzer Besuch bei Herrn Adem Demaqi in seiner Wohnung. Terminvereinbarung für den Abend im Hause meiner Gastfamilie. Kommt dann aber nicht, da er einen wichtigen Termin in Pec hat. 16:45 h. Terminvereinbarung im OSZE-Büro mit den Roma-Beauftragten der OSZE für den 4.9.1999, 9:00 h. Abends bin ich eingeladen bei Nachbarn meiner Gastfamilie, mit ca 20 Männern, die Bewunderung für Hitlerdeutschland vermitteln und viele Fragen nach dem Weg zur Demokratie stellen. Wir diskutierten die Aspekte:
Alle beschwerten sich über den in Prishtina überall herumliegenden Müll. Mein Vorschlag, die vielen jungen Männer, die nichts zu tun hätten, könnten doch, organisiert etwa durch die UÇK, mit der Beseitigung des Mülls beginnen, wurde mit dem Hinweis beantwortet, es sei noch zu früh, man müsse auf den Aufbau der Verwaltung durch die Amerikaner warten. Als ich scherzhaft die Frage aufbrachte, vielleicht fehlten den Albanern die Roma, die sonst in den Stadtverwaltungen in der Stadtreinigung gearbeitet hatten, kam betretenes Schweigen auf. Es habe auch Albaner in der Stadtreinigung gegeben. Freitag, 03.09.99 Interview mit Hydajet Hyseni (Stellvertretender Außenminister der Thaçi-Regierung), ein kultivierter, gebildeter Herr. In unserem Gespräch über den Verbleib von Minderheiten im Kosovo, vor allem der Roma und Ashkalia, drückt er sein Bedauern über die Vertreibungen aus. Diese seien auf keinen Fall organisiert und geplant gewesen, vielmehr hätten kriminelle Banden unter dem Vorwand einer Beteiligung der Roma an serbischen Verbrechen gegen das albanische Volk das Machtvakuum für ihre Ziele ausgenutzt und die Roma vertrieben, ausgeraubt und den größeren Teil ihrer Häuser zerstört. Er selbst teile die Meinung, die Albaner sollten die Minderheiten im Kosovo besser beschützen. Es gebe aber noch keine Strukturen, um diesen Schutz zu gewährleisten. So seien der UÇK die Waffen weggenommen worden. Stünde die UÇK wieder unter Waffen, gäbe es seiner Meinung nach keine Verfolgung der Minderheiten im Kosovo. Die Reaktionen in Europa seien übertrieben. Schließlich seien es Roma aus Mazedonien und Albanien, die als Kosovo-Roma in die Lager des UNHCR gegangen seien. Auf meine Nachfrage schränkt Herr Hyseni ein, daß unter den kosovarischen Roma-Flüchtlingen möglicherweise auch einige nicht-kosovarische Flüchtlinge seien. Oft hätten Roma, wie auch Serben, ihre Häuser selbst angezündet, um so bei Ihrer Flucht vor Strafe wegen ihrer Beteiligung an serbischen Massakern dem albanischen Volk zu schaden. Die meisten der Roma seien Wirtschaftsflüchtlinge, die derzeit keine Arbeit als Saisonarbeiter z.B. in der Vojvodina fänden. Ihre Flucht sei auch ein Ergebnis und Erfolg serbischer Propaganda. Man solle die albanischen Reaktionen beim Abzug der serbischen Truppen nicht überbewerten. Allerdings dürften die Roma keine Hilfe erhalten, bevor nicht die Bevölkerung im Gebiet von Drenica ausreichend humanitäre Hilfe erhalten habe. Man dürfe in Europa auch nicht übersehen, daß serbische Paramilitärs aus dem Untergrund heraus Terrorakte gegen Minderheiten ausübten, um dem albanischen Volk zu schaden. Nach diesem Interview arrangiert Herr Hyseni ein Gespräch mit seiner Kollegin, der Stellvertretenden Ministerin für Gesundheit , ebenfalls der Thaçi - Regierung, Frau Dr. med. Teuta Hadri. Sie begrüßt mich mit den Worten Welcome, we are both from the same race, the Aryan race, so understanding should be easy. Ich überwinde meinen Schock und lasse mir nichts anmerken. Frau Hadri klärt mich auf, daß die Roma allesamt an den Gewalttaten der Serben beteiligt waren, und daß sie sich jetzt nicht über die albanischen Reaktionen wundern sollten. Auf meine Nachfrage bestätigt sie, dies betreffe alle Roma. Europa brauche sich nicht so viele Gedanken machen, schließlich seien die Roma Analphabeten und ein großes soziales Problem gewesen. Außer spontanen Akten der Vergeltung habe es keine Vertreibung gegeben, vor allem keine organisierte. Die Roma seien aus Angst vor Bestrafung geflohen. Zehn Minuten nach Beginn unseres Gespräches kommt eine Mitarbeiterin und schreibt mit. Samstag 04.09.99 Entrinne frühmorgens meiner albanischen Gastfamilie, die sich sehr bemüht, mir ein rein albanisches Programm zusammenzustellen. 9:00 h bei den Romabeauftragten der OSZE. Niemand fühlt sich zuständig. Werde zum UNHCR geschickt. Von dort weiter auf den Berg Dragodan zu Fuß zum Romabeauftragten des UNHCR. Die anwesende Dame weiß nur über ihren Bezirk Bescheid, kann mir aber nichts über andere Regionen im Kosovo vermitteln. Werde vom Fahrer des UNHCR zum Bus nach Vucitrn gefahren. Dort aber fährt kein Bus nach Vucitrn.Ich gehe zu Fuß zur European Comunity Monitor Mission (ECMM) Prishtina. Der Leiter, Herr Obermüller, kennt mich von meinen Rettungsaktionen für Roma in Vucitrn und Vrela und fährt mich nach Vrela. Dorthin haben sich Ashkalia-Bauern vor allem aus dem Dorf Magura bei Prishtina geflüchtet. 150 Personen leben jetzt auf engem Raum im Gehöft ihres Verwandten Sefa, der auch Bauer ist. Die meisten Häuser der Ashkalia und Roma in Magura seien zerstört. Es soll sehr grausam zugegangen sein. Herr O., zwanzig Jahre lang Lehrer und zum Schluß Lehrer der Schule des Dorfes, wurde in die von serbischen Truppen verlassene Kaserne von der UÇK verschleppt und mit Eisenstangen zusammengeschlagen. Durch eine schwere Verletzung der Wirbelsäule gelähmt, mit vier gebrochenen Rippen, sei er vor seinem Haus aus einem Auto geworfen worden. Man habe wohl die Intelligenz der Roma unsd Ashkalia treffen wollen. Seine Familie sei darauf hin mit ihm nach Kragujevac in Serbien geflüchtet, wo er im Krankenhaus behandelt werde. Er werde aber wohl für den Rest seines Lebens gelähmt bleiben. Derzeit erhalten diese Flüchtlinge nach ihren Angaben keinerlei humanitäre Hilfe.So gibt es für die Kinder keine Milch, seit langem haben sie kein Gemüse mehr erhalten, ärztliche Versorgung wird ihnen nicht zuteil und für den Winter sind sie überhaupt nicht ausgerüstet. Es fehlt an Öfen und Heizmaterial. Die Hilfsorganisation Mutter Tereza bringt wohl Hilfe in das Dorf zu den Albanern und verlangt von den Ashkalia, ihre Rationen im Dorf bei den Albanern abzuholen. Dies ist wegen der akuten Gefahr, mit Gewalt oder zumindest durch Belästigungen vertrieben zu werden, für die Flüchtlinge nicht möglich. Von diesen Menschen hatte ich in Heidelberg über Verwandte in Deutschland einen Hilferuf erhalten, daß sie sich durch Albaner, die mit Morddrohungen und Steinwürfen Druck auf sie ausübten, das Land zu verlassen, an Leib und Leben gefährdet fühlten. Beeindruckt bin ich von dem erklärten Willen, nicht zu weichen, sondern darauf zu warten, bis sie wieder in ihr Dorf zurückkehren können. Sie sind alle sehr besorgt um ihre Ernte. Der freundliche, montenegrinische Fahrer des ECMM bringt mich zur richtigen Abfahrtstelle des Busses nach Vucitrn. 16:00 h Ankunft mit Bus in Vucitrn Suche Frau F. B., Ashkali, die mir durch Berichte ihrer Verwandten in Deutschland ein Begriff ist, an ihrem Arbeitsplatz auf. Bewegende Begrüßung mit vielen Tränen. Ein freundlicher Albaner bringt mich zum Haus des A.B., Ashkali, Kaufmann mit gutem Ruf bei der albanischen Bevölkerung. Er sagt, er habe bei der Rückkehr der albanischen Flüchtlinge 3000 kg Mehl an sie verschenkt und während des Krieges die UÇK mehrmals mit Lebensmitteln versorgt. Dorthin ins Gehöft haben sich insgesamt 8 Familien geflüchtet; sie sind die letzten einer einst 1700-köpfigen Gemeinschaft. Am 21.6.1999 und den Tagen darauf sind Trupps von Männern unter Begleitung der UÇK, darunter auch ihrer Militärpolizei (PU, Policia Ushtarake) in die Häuser der Roma und Ashkalia eingedrungen. Ihnen wurde gesagt, jetzt sei eine neue Zeit angebrochen, und es gebe für Zigeuner (Magjupi) keinen Platz mehr im Kosovo. Letztendlich habe die UÇK Herrn B. aber doch in Ruhe gelassen und auch die zwölf Familien, die sich in sein Haus geflüchtet hatten. Die Albaner seien mit Pferdefuhrwerken und LKW`s in die Strassen gekommen, mit automatischen Waffen ausgestattet, und hätten, nachdem sie in die Häuser eingedrungen waren, sofort mit Holzknüppeln und Eisenstangen auf die Hausbewohner eingeschlagen. Viele seien schwer verletzt worden. Sie seien unter massiven Morddrohungen aufgefordert worden, sofort ihre Häuser zu verlassen. Die verlassenen Häuser seien dann geplündert worden, die gestohlenen Gegenstände wie Möbel und alle technischen Geräte wie Küchenherde, Eisschränke, Waschmaschinen, Fernseher etc., auf die Fuhrwerke und LKW´s geladen und eiligst abtransportiert worden. Einige Häuser seien sofort in Brand gesteckt worden. Nie würden sie die Rufe vergessen können: Kein Platz für euch Zigeuner im Kosovo, haut ab! Die nicht in Brand gesteckten Häuser seien dann in den folgenden Tagen schnell ausgeweidet worden. Es wurde alles Verwertbare entfernt, Dachziegel, Holzfußböden, Türen und Fenster mitsamt der Holzrahmen, alle Armaturen in Küchen und Badezimmern, und sogar die Stromkabel wurden aus den Wänden gerissen. Einer Familie wurden die beiden teuren Autos weggenommen, und werden von einem hohen albanischen Fuktionär ohne Nummernschilder gefahren. Ich suche die Häuser in der Nachbarschaft auf, vorsichtig, um zu vermeiden, daß Albaner sich provoziert fühlen. Ich muß feststellen, daß in einem sehr großen Areal alle Häuser der Ashkalia unbewohnbar gemacht worden waren.Viele sind verbrannt. Ich fotografiere sehr vorsichtig, um nicht mich und meine Gastgeber in Gefahr zu bringen. Die Verwüstungen der Ashkalia-Häuser rund um das Haus von Herrn B. sind vollständig. Nur ein Fachmann kann entscheiden, welches Haus wieder aufgebaut werden kann. Französische KFOR Truppen haben 45 Mann in diesem Viertel in einem der unversehrt gebliebenen Ashkalia - Häuser stationiert, die in einem 24 Stunden Dienst ständig Streife gehen. Diese Präsenz der KFOR war von mir durch ein Fax an die European Community Monitor Mission (ECMM) initiiert worden,die ihrerseits KFOR in Vucitrn um Schutz gebeten hatte, nachdem ich über Umwege von der verzweifelten Lage dieser Menschen unterrichtet worden war. Andere, eigentlich zuständige große Institutionen waren dazu nicht in der Lage. Übernachtung im Hause B.
Sonntag, 05.09.99 Abfahrt mit A.B.zu seinem Laden in Mitrovica, dort Besuch bei UNHCR. Die Dame hat keine Zeit, muß einen Bericht schreiben, ich erhalte gar keine Information. Mache mich selbst auf den Weg nach Obilic ins Gypsie-Camp. Ich fahre mit einem Kombi-Taxi bis zum Kraftwerk Obilic, von dort einstündiger Fußmarsch bis zum Lager. Werde von Herrn Ibrahim Hasani, dem Sprecher der Lagerinsassen und von Herrn Paul Polanski, einem dort mit den Roma und Ashkalia lebenden amerikanischen Schriftsteller empfangen. Das Lager Obilic/Krusevac war als Ersatz für die Flüchtlinge im Roma-Auf-fanglager in der Schule von Kosovo Polje/FushëKosovë eingerichtet worden. Dorthin hatten sich bis zu 5000 Roma aus 25 Städten und Dörfern in qualvoller Enge vor den Pogromen extremistischer Albaner geflüchtet, denen die Flucht nach Montenegro und Mazedonien nicht mehr gelungen war. Der UNHCR hatte beim Dorf Krusevac, Gemeinde Obilic, etwa 1500 m vom Schornstein des veralteten Kohlekraftwerks Obilic entfernt, ein Lager mit Zelten eingerichtet. Der Fall-out des Kraftwerkes bedeckt alles mit schwarzem Ruß. Der Schutz durch zwei unbewaffnete UN-Polizisten wird von den Insassen des Zigeunerlagers als unzureichend empfunden- sie befürchten ständig Angriffe extremistischer Albaner. Durch die etwa 400 m entfernt stationierte britische Fernmeldeeinheit fühlen sie sich nicht geschützt. Die Tatsache, daß Paula Ghedini vom UNHCR eindeutig erklärt habe, das Lager nicht für den Winter ausrüsten zu wollen, bereitet den Insassen große Sorgen. Sie habe ihnen gesagt, wer bleiben wolle, könne dies tun, wer gehen wolle, ebenfalls. Wohin, das könne sie auch nicht sagen. Es fehlen Öfen und Brennmaterial. Die Wasserleitungen liegen frei - im bitterkalten Balkanwinter wird dann kein Wasser mehr fließen.Angesichts der Feindseligkeit extremistischer Albaner, nicht von der UÇK behindert, sollten sie auf keinen Fall versuchen, in ihre Wohnorte zurückzukehren, wo ihnen die Häuser zerstört worden wa-ren. Oder hält der UNHCR die Roma und Ashkalia für umherziehende Nomaden? Diese unsicheren Perspektiven veranlassen die Insassen, über einen Ausbruch und Marsch an die mazedonische Grenze auch gegen den Willen des UNHCR nachzudenken. Ich habe zwei Bodenproben vor dem Zelt meiner Gastfamilie entnommen, um sie in Heidelberg analysieren zu lassen. Den ganzen Tag bis in die Nacht werden mir bewegende Vertreibungsgeschichten berichtet. F. B aus dem Dorf V. Er war 1998 als abgelehnter Asylbewerber in das Kosovo abgeschoben worden, und arbeitete in seinem Dorf in seinem erlernten Beruf als Schlosser. Er hatte sich von seinem in Deutschland ersparten Geld eine gute Werkstatt eingerichtet. Die albanischen Nachbarn nahmen seine Dienste für alle möglichen Reparaturen in Anspruch. Das Ende des Krieges brachte das Undenkbare: Eine große Gruppe von Männern fiel in das Dorf ein und drang in die Häuser der Roma und Ashkalia ein, so auch in das Haus von Herrn B. Die Männer schlugen mit Knüppeln auf die Hausbewohner ein und drohten, sie zu töten, wenn sie nicht sofort das Haus verließen. Dem ältesten Sohn D. (12 Jahre) setzten sie ein Messer an die Kehle, um ihren Drohungen Nachdruck zu verleihen. Mit ein paar wenigen Habseligkeiten verließ die Familie, Herr F.B. verletzt, ihr Haus und das Dorf, und sie konnten beobachteten, wie sofort die Einrichtung herausgetragen wurde. Herr Polanski hatte einige Zeit später mit der Familie das Haus aufgesucht und fotografiert. Es ist abgebrannt. Übernachtung im Zelt bei Familie F. B.
Montag, 06.09.99 Fahrt mit Paul Polanski, Theo Fruendt und H. B, unserem Dolmetscher und Rom aus dem Camp Krusevac/Obilic nach Prizren. Wir suchen mehrere Dörfer unterwegs auf und nehmen die Anzahl der zerstörten und unversehrt gebliebenen Häuser, sowie die Anzahl der ursprünglichen Bevölkerung und der verbliebenen Einwohner auf. Stellvertretend einige Beispiele:
Übernachtung im Roma - Auffanglager Obilic im Zelt von Fam. F.B.
Dienstag 7.9.99 Fahrt mit Polanski, Fruendt und H. B. nach Pec. Besuch einiger Dörfer auf dem Weg .
Am Nachmittag Abfahrt nach Skopje mit Paul Polanski, Theo Fründt und H. B., unserem immer gleichbleibend freundlichen Dolmetscher, dem glücklicherweise bei den Angriffen der Albaner der Paß nicht zerrissen worden war und der somit mit uns nach Mazedonien einreisen konnte. Unterwegs Besuch des Roma-Flüchtlingslagers Stenkovec 2. Ich suche dort auf Bitte von Familien in Deutschland nach Vermißten. Ich finde die gesuchte Familie A. Z., mit der nach Vergewaltigungen stark verstörten Ehefrau. Das Ehepaar hat kleine Kinder. Die aufgrund von Vergewaltigungen durch Albaner traumatisierten Frauen und Mädchen sind für die Roma ein ganz besonders dunkles Thema. Nie hätten wir gedacht, daß die Albaner so etwas tun würden. Ich erfasse im Auftrag von Roma in Deutschland eine Liste der im Camp lebenden Familien aus Vitina. Paul Polanski, Theo Fründt, H. B. und ich diskutieren den Plan der Flüchtlinge im Roma-Auffanglager Krusevac/Obilic in einem Massenauszug ihr Lager auch gegen den Willen des UNHCR zu verlassen. Wir nehmen die Sorgen der Lagerinsassen ernst. Übernachtung im Zelt der Familie F. B.
Mittwoch, 08.09.99 Fahrt mit Paul, Theo und H. B. nach Skopje Besuch einiger Dörfer mit Resten der Roma/Ashkalia -Dörfer unterwegs. Suha Reka. Wir treffen dort als eine der letzten verbliebenen Familien die des Herrn S. B. an. Er war Gastarbeiter in Deutschland gewesen und lebte seit Jahren in Frieden mit seinen albanischen Nachbarn von seiner deutschen Rente. Mit ihm lebt seine Frau mit zwei halberwachsenen an Multipler Sklerose erkrankten Kindern und seinem uralten Vater. Die Häuser um sein Haus herum sind alle zerstört und unbewohnbar gemacht. Für Herrn B. waren die Tage nach der Ankunft der UÇK die Hölle, sagt er. Nie hätte er gedacht, daß Albaner sich so verhalten können. Bei den vertriebenen Nachbarn hätten die Albaner alles brauchbare geklaut. Die Vertriebenen hätten nur das, was sie am Leibe tragen konnten, mitnehmen dürfen. Er erhalte auch gar keine humanitäre Hilfe, sondern lebe immer noch von den Vorräten. Wir verlassen die Familie um für sie frisches Gemüse einzukaufen. Bei unserer Rückkehr stellen wir fest, daß Herr B. ganz verstört auf uns reagiert. Nach behutsamem Nachfragen erfahren wir, daß direkt, nachdem wir seinen Hof verlassen hatten, zwei Polizisten der UÇK zu ihm gekommen seien und ihn in barschem Ton gefragt hätten, was die Ausländer von ihm gewollt haben. Er solle aufpassen, was er diesen sage. Sie hätten ihn auch gefragt, wieso er immer noch mit seiner Familie hier sei, man habe ihm doch deutlich gesagt, daß er zu verschwinden habe, für Zigeuner kein Platz sei in Kosovo. Mit diesen Warnungen hätten sie das Anwesen verlassen. Zehn Tage vor unserem
Besuch seien um zwei Uhr nachts drei Männer der UÇK über die Mauer geklettert
und in sein Haus eingedrungen. Sie hätten schwarze Uniformen getragen und
Masken. Herr B. und seine Familie lagen im Bett. Mit gezogenen Waffen hätten
sie ihn nach seinem Sohn gefragt und die Wohnung durchsucht. Kein Platz für
euch im Kosoco hätten sie ihm gesagt, allein er wisse gar nicht, wohin er
gehen solle. Das sei ihnen egal, sei die Antwort gewesen. Donnerstag 09.09.99. Skopje. Besuch des Roma-Fernsehens RTB in Skopje, in einem Haus der berühmten Sängerin vom Volk der Roma, Esma Redzepova, um dort Korrespondenzen,Telefonate u.s.w. zu erledigen. Besuch bei Dom Antun Cirimotic, Direktor der Makedonski Karitas, der mir schon seit vielen Jahren als ein Streiter für die Menschenrechte der Roma bekannt ist. Ich will ihn um seine Meinung bezüglich des Wunsches der Roma vom Lager bei Obilic fragen. Er und ein Herr von CV äußern Verständnis für den Plan, die Roma des Camps in Krusevac/Obilic in ihrem Wunsch, diesen Ort zu verlassen, zu unterstützen und ihnen bei einer Evakuierung zu helfen. Dom Antun Cirimotic bedankt sich für mein Interesse für die Roma des Kosovo und für die Informationen, die ich ihm liefere. Übernachtung in der Wohnung von Theo Fründt. Freitag 10.09.99. Caritas Deutschland, Frau Friedrich. Sie warnt mich, den Plan einer Evakuierung zu unterstützen. Besuch des Catholic Relief Services (CRS) Der Leiter, Herr Nick Ford, st an meinen Kenntnissen der Roma und Ashkalia des Kosovo interessiert und hat ein gewisses Verständnis für Evakuierungspläne aus dem Lager in Krusevac/Obilic. Will von mir auf dem Laufenden gehalten werden. Fahrt mit Bus nach Veles, Besuch bei Dzansever Dalipova, mir seit vielen Jahren persönlich bekannt, der beliebtesten Sängerin der Romajugend des Balkan und gleichzeitig ein Star in der Türkei. Sie erklärt sich bereit, ein oder mehrere Benefizkonzerte zu veranstalten zugunsten der Roma und Ashkalia des Kosovo. Genaues Vorgehen wird verabredet. Sie macht wahrscheinlich eine Tournee mit türkischen Konzerten im November 1999 in Deutschland, und im Anschluß daran wären Benefizkonzerte möglich. Dzansever ist an Morbus Bechterew erkrankt und bittet mich, ihr eine gute Klinik zur Behandlung in Deutschland ausfindig zu machen. Ich sage zu. Abends im Büro des Romafernsehens. Treffen mit Frau Demirova aus Stip/Mazedonien, Direktorin der Romahilfsorganisation Cerenja. Sie wird mit mir bei meinem nächsten Besuch ein Interview für ihre Radiostation machen. Übernachtung in Theos Fründts Wohnung. Sichtung der Fotos. Samstag, 11.09.99 Abflug nach Stuttgart
Es ist der Tag gekommen, die Häuser zu verlassen
Fragt mich mein kleiner Demush Musik und Text: Unbekannter Rom aus Kosovo September 1999
Zweite Reise zur Erkundung der Lage der Roma und Ashkalia im Kosova Vierzehn Tage Augenzeuge in einer eingeschlossenen und bedrohten Enklave der Ashkalija: 29.10.1999 bis 15.11.1999
Von den ehemals mehr als 1500 Personen lebt niemand mehr in der Stadt. Von ihren einst ca. 300 Häusern sind ungefähr 250 total zerstört. Viele Roma hatten seit Beginn der 70er Jahre als Gastarbeiter in Deutschland, der Schweiz und anderen mitteleuropäischen Ländern garbeitet oder leben jetzt dort als Gastarbeiter, und hatten vom Ersparten schöne große Häuser gebaut. Bis zum Beginn des Krieges schickten die Roma ihre Kinder mehrheitlich in die serbische Schule. Ihre Minderheitenrechte sahen sie eher durch serbische Präsenz geschützt. Hat die Geschichte dieses bestätigt? Mehrere Führer der Roma von Vucitrn haben sich in der Zeit vor dem Krieg durch die Bildung einer pro-serbischen Roma-Partei an die Seite des Regimes von Milosevic gestellt. Der straff organisierte Geheimdienst der UÇK soll sie jetzt in der Vojvodina suchen; die Propaganda der UÇK beschuldigt sie der fürchterlichsten Kriegsverbrechen. Mir sind bislang jedoch keine vertrauenswürdigen Augenzeugen begegnet, die bestätigen können, Führungspersönlichkeiten der Roma hätten Albaner getötet, oder ihre Häuser in Brand gesteckt. Ein solches Verhalten widerspricht auch den Traditionen des Volkes der Roma. Gleichwohl erscheint glaubhaft, daß Roma unter Morddrohungen durch Serben zur Mittäterschaft an serbischen Plünderungen albanischer Häuser gezwungen worden waren. Die von Albanern behauptete Kollaboration mit serbischen Kriegsverbrechern wird als Grund für Vertreibung und Plünderung ihrer Häuser und der der Ashkali angegeben. Auch wenn es eine Kollaboration von Roma mit serbischen Einheiten gegeben hat, - was noch nachzuweisen wäre - kann nicht hingenommen werden, daß wegen der Taten Einzelner Pogrome gegen ein ganzes Volk veranstaltet werden. Es ist ausgeschlossen, daß sich das gesamte Volk der Roma an den serbischen Greueltaten beteiligt hat. Wer aber aus dem Volk der Roma sich eines Verbrechens schuldig gemacht hat, soll dafür auch zur Rechenschaft gezogen werden. Andererseits kann davon ausgegangen werden, daß diese behauptete kollektive Kollaboration nur als Vorwand zu werten ist, ein für allemal die ungeliebten Schwarzen loszuwerden und sich zu bereichern.
Die Ashkalija der Stadt Vucitrn vor dem Krieg Vor dem Krieg waren 1625 Ashkali Bürger dieser Stadt. Sie waren gut in das Leben der Stadt Vucitrn integriert. Viele hatten eine gute Ausbildung erhalten und übten Berufe im mittleren Niveau aus. Ich kenne allein vier Krankenschwestern und -Pfleger, mehrere Techniker in der metallverarbeitenden Industrie, erfolgreiche Kaufleute, zwei Sachbearbeiter in der Stadtverwaltung und einen der beliebtesten Musiker des Kosovo. Die vier Krankenschwestern/Pfleger und ein Techniker haben als Experten in arabischen Ländern gearbeitet, einer von ihnen in der Intensivstation eines Krankenhauses. Traditionell fühlten sie sich an der Seite der Albaner. Ihre Kinder schickten sie in die albanische Schule, sie waren Mitglieder in albanischen Vereinen. Der Kassenwart des Kulturhauses war Ashkali. Politisch hatte die Mehrheit der Ashkalija als Albaner an der Seite der Albaner unter der serbischen Repression gelitten. Als Moslems nahmen sie ihre Pflichten in der Gesellschaft sehr ernst. Die Wohlfahrt in der Stadt war entscheidend von der Spendenfreudigkeit der Ashkali geprägt. Die führende Persönlichkeit der Ashakali von Vucitrn, Herr Abdush Qizmolli hat entscheidend durch seine Spenden zur Finanzierung der zuletzt erbauten Moschee beigetragen. Er und seine Familie genossen hohes Ansehen in der Stadt und Umgebung. Als Großmetzger mit Metzgereien in Vucitrn und Mitrovica war er bis zum Krieg ein erfolgreicher Kaufmann gewesen. Etwa 300 Häuser wurden von Ashkali bewohnt. Bis auf ca. 50 Häuser wurde das Viertel der Ashkali zerstört. Auf Videoaufnahmen der Häuser vor dem Krieg läßt sich erkennen, daß die Ashkalija der Stadt Vucitrn eine hohe Wohnkultur pflegten. Viele der oft großen Häuser waren von Gastarbeitern, die in Deutschland und der Schweiz lebten, erbaut worden. Auch deren Häuser wurden geplündert und anschließend zerstört. Nach meiner Wahrnehmung sind viel mehr Häuser der Ashkalija und Roma nach dem Krieg während der Pogrome von Albanern zerstört worden, als albanische Häuser durch serbische Truppen. Es ist eine Tatsache, daß sich einzelne Ashkalija wie auch Roma und Albaner an den Kriegsverbrechen der Serben beteiligt haben. Gleichwohl kann eine kollektive Bestrafung durch Raub, Brandstiftung, Entführung mit anschließender Vergewaltigung, Mord und Vertreibung nicht von Europa hingenommen werden.
Das Pogrom gegen die Ashkalija in Vucitrn nach dem Abrücken der serbischen Truppen und dem Einrücken der NATO vom 21.06.1999 bis Anfang August 1999. Die Auswertung vorliegender Vertreibungsberichte, im Kosovo und in Deutschland gesammelt, ergibt folgendes Bild. Die regelmäßige Präsenz von Angehörigen der UÇK bei den Plünderungen und Vertreibungen und ihr Verhalten geben Anlass, von einem schon lange bestehenden Plan einer ethnischen Säuberung des Kosovo auszugehen. Die behauptete generelle Beteiligung der Ashkalija an Kriegsverbrechen kann nur als Vorwand für die gewaltsame totale Ausplünderung und Vertreibung gewertet werden. Charakteristisch sind die oft geäußerten Feststellungen, daß ihr der UÇK geholfen habt, war gut, aber jetzt ist eine neue Zeit gekommen, es gibt keinen Platz mehr im Kosovo für euch Zigeuner!. Der Wert der geraubten Güter ist immens. Der Schaden durch die Zerstörung der Häuser ist noch höher. Vor und während des Krieges hatte sich die Mehrheit der Ashkalija entschieden an die Seite der Albaner gestellt. Ihre Kinder waren mehrheitlich in die albanische Schule gegangen. Mehrere hatten ehrenamtlich in der Humanitären Organisation Mutter Tereza mitgearbeitet. Sie haben sich an den Demonstrationen der Albaner beteiligt.Viele hatten den Kampf der Albaner gegen die serbische Unterdückung mit Geldspenden unterstützt. Ashkalija wie Abdush Qizmolli hatten die Kämpfer der UÇK in den Bergen etliche Male unter Lebensgefahr mit Fleisch versorgt. Viele Ashkalija waren wegen ihrer Solidarität mit der albanischen Sache im Gefängnis gewesen und hatten ihren Arbeitsplatz verloren. Beim Einmarsch der NATO und der gleichzeitigen Rückkehr der Flüchtlinge aus Mazedonien und Albanien hatte Herr Abdush Qizmolli diese mit Lebensmitteln versorgt. An die ersten zurückkehrenden Flüchtlinge ließ er 3000 kg Mehl verteilen. Am ersten Tag nach dem Einmarsch der französischen NATO Truppen konnten sich die Ashkalija sicher fühlen. 24 Stunden lang waren vier Panzer in ihrem Viertel stationiert, einer von ihnen direkt vor dem Gehöft der Familie Abdush Qizmolli. Danach wurden die Truppen und die Panzer abgezogen und das Klima zwischen NATO und Ashakalija änderte sich. Hilfesuchende Ashkalija seien als pick-pockets von den französischen Soldaten bezeichnet worden. Was hat zu dieser negativen Einstellung geführt? Etwa gezielte Desinformation? Ein wirkliches Rätsel. Das Pogrom konnte beginnen. Am 21.06.1999 trafen Gruppen von Männern, zum Teil bewaffnet, in den Straßen der Ashkalija ein. Mit Gewalt drangen sie in einzelne Häuser ein. Unter Morddrohungen mit vorgehaltener Waffe und schweren körperlichen Mißhandlungen mit Holz- und Eisenstangen wurden die ersten Familien aus ihren Häusern vertrieben. Weder alte Menschen, noch Frauen und Kinder wurden verschont. Es wurde mit Fäusten, Gewehrkolben, Äxten und Hämmern geschlagen. Es wurde getreten, gestoßen und an den Haaren gezogen. Frauen wurde vor Augen der Familie Kleidung zerrissen. Frauen wurden vor Augen der Familie sogar die Unterwäsche nach Gold und Geld durchsucht. Kinder wurden mit dem Messer am Hals als Druckmittel mißbraucht, Wertgegenstände herauszurücken und das Haus sofort zu verlassen.
Überall war das Weinen und Schreien der Wehrlosen zu hören. Der Rauch der brennenden Häuser war überall zu sehen und zu riechen. Es wird berichtet, daß plündernde Albaner während der Pogrome vor Freude über den Wohlstand der Ashkali ausgerufen haben sollen: Das ist ja wie Amerika! Nach der Vertreibung der Familien aus ihren Häusern wurde sofort alles Bewegliche wie Waschmaschinen, elektrische Herde, Fernseher, Videogeräte, Groß- und Kleinmöbel herausgetragen und auf bereitstehende Pferdefuhrwerke, Traktoren mit Anhänger, in Kleinbusse und in Einzelfällen sogar auf LKW´s geladen. Autos der Ashkalija wurden weggefahren und Pferde, Esel, Kühe, Schafe und Ziegen weggeführt. Der Wert der geraubten Güter ist immens. In den meisten Fällen wurden die Häuser direkt nach getaner Arbeit von den Plünderern in Brand gesteckt. Angehörige der UÇK und ihrer Militärpolizei PU (Policia Ushtarake) waren sehr häufig anwesend und haben in vielen Fällen direkt vor den plündernden Gruppen Häuser betreten unter dem Vorwand, nach Waffen suchen zu wollen. Die Kommandanten der UÇK machten den wiederholten Abordnungen der Ashaklija deutlich, daß von ihrer Seite keine Hilfe erwartet werden könne. Eine Abordnung hilfesuchender Ashaklija, unter ihnen eine Frau, konnte mit den französischen Offizieren der KFOR nur mit Hilfe eines albanischen Dolmetschers sprechen. Dieser hatte die Offiziere irregeführt und ihre Bitten nicht korrekt übersetzt. Erst eine kroatische Dolmetscherin konnte diese Irreführung des albanischen Dolmetschers aufdecken und die Bitte um Schutz dem KFOR Offizier übermitteln. KFOR habe aus Personalmangel nicht die Möglichkeit, zu helfen und zu beschützen, wurde den Ashkalija erklärt. KFOR werde aber LKW`s zur Verfügung stellen und sie an die Grenze zu Serbien transportieren, wo sie in Sicherheit seien. An diesem ersten Tag wurden ca. 300 Personen vertrieben und von KFOR abtransportiert, wobei die Vertriebenen die ersten Häuser in Flammen aufgehen sahen. In diesem Stil wurde das Pogrom gegen die Ashkalija bis Anfang August 1999 fortgeführt. Auch wenn es nicht glaubhaft erscheint: die Verfolgung und Vertreibung, Ermordung und Entführung von Ashkalija wurde nicht von den KFOR-Truppen behindert, obwohl diese Taten offen durchgeführt wurden und die Brände und Verwüstungen der Ashkali-Häuser in der kleinen überschaubaren Stadt Vucitrn leicht zu lokalisieren gewesen wären.. Der internationalen Gemeinschaft scheint es nicht oder jedenfalls nicht in einem ausreichenden Maß zu gelingen, die Roma und Ashkalija zu beschützen;wobei dies offenbar auch damit zusammenhängt, dass die besonderen Probleme der Roma und Ashkalija nicht genügend wahrgenommen werden Viele Fragen hierzu müssen noch beantwortet werden.
In der Zeit zwischen der ersten und der zweiten Reise hatte ich indirekt Kontakt mit der Ashkali-Gemeinde in Vucitrn über einen in Deutschland lebenden Ashkali. Auf diesem Wege habe ich von dem Handgranatenanschlag vom 07.10.1999 auf das Haus der Ashkali-Familie Xhemajl Qizmolli erfahren. Dieses Haus, wie auch die beiden Nachbarhäuser, beansprucht ein Albaner, der bereits eines dieser Häuser besetzt hat und der von Anfang an an den Vertreibungen beteiligt war. Am Abend des 12.10.1999 wurde Herr Xhemajl Qizmolli von Männern, die bis zum Beginn des Krieges seine Kollegen gewesen waren, besucht und für den darauffolgenden Morgen zu einem Gespräch in das Gebäude der Stadtreinigung eingeladen, um dort über eine Wiederaufnahme seiner früheren Arbeit als Sachbearbeiter zu reden. Am 13.10.1999 um 07:00h besuchte er seinen früheren Arbeitsplatz. Er führte Gespräche mit dem Direktor und seinen früheren Kollegen. Einer Wiederaufnahme seiner früheren Arbeit stünde nichts im Wege, wurde ihm zugesagt. Mittags erschien eine Gruppe von Männern in der Uniform der TMK (Tropa e Mbrojtjës së Kosovës, englisch Kosovo Protection Corps, KPC) und nahm ihn in Gegenwart seiner Kollegen in deren Büro fest. Seitdem fehlt von ihm jede Spur. TMK besitzt keine Polizeihoheit und ihre Aufgaben sind rein ziviler Art, wie Feuerwehr, Wiederaufbauhilfe etc. Die örtliche TMK kann oder will nicht zur Aufklärung beitragen. Ich habe Berichte der zuständigen Behörden einsehen können. Am 28.10.1999 erschien in der ehemals renommierten Zeitung Rilindja, ein Artkel über die angebliche Beteiligung der Roma von Vucitrn an serbischen Gräueltaten, der mit den Worten schließt, eines Tages, früher oder später, wird auch diese Enklave, die von arabischen Soldaten beschützt wird, leer sein, womit der Rest der Gemeinschaft von 120 von ehedem 1700 Ashkali gemeint ist. Vier Tage später wird die erste von sechs Handgranaten gegen das Haus und Familienmitglieder von Abdush Qizmolli geschleudert werden, Repräsentant und Sprecher der Ashkali-Gemeinschaft.
Freitag, 29.10.1999 Abflug nach Zlatina Airport/Prishtina. In der Ankunftshalle komme ich mit zwei Abgeordneten des Europaparlaments ins Gespräch. Sie haben eine vage Vorstellung, daß irgendetwas mit den Roma nicht in Ordnung ist. Ich übergebe ihnen Berichte zur Lage der Roma im Kosovo. Sie nehmen mich in ihrem Auto nach Prishtina mit. Von dort fahre ich nach Vucitrn. Ich werde zu dem Haus geführt, in dem jetzt Fuad Bucolli mit seiner Familie wohnt. Es gehört seiner Schwester und ihrem Mann, die dreißig Jahre als Gastarbeiter in Deutschland für den Bau dieses Hauses gearbeitet hatten. Xhemajl selbst war mit seiner Familie aus seinem eigenen Haus mit Gewalt vertrieben worden und nach Novi Sad geflohen, dann aber im September 1999 wieder zurückgekehrt. Außer ihm und seiner Familie wohnen dort noch zwei weitere Familien, die von Albanern mit Gewalt aus ihren Häusern vertrieben worden waren und nach ihrer Flucht nach Novi Sad wieder nach Vucitrn zurückgekehrt waren. Vor dem Einzug Xhemajl Kelmendis war dieses Haus während des Höhepunktes der Vertreibungen und Verfolgungen von einem Albaner besetzt worden. KFOR hatte Mitte September 1999 dieses Haus auf Antrag der Eigentümerin räumen lassen, um Platz für die Rückkehrer zu schaffen. Dabei hatte der Albaner die gesamte Einrichtung mitgehen lassen, sogar das aus allen Räumen herausgerissene Parkett. Am Abend besuche ich die Familie von Kelmendi und seiner Frau Sevdije. Er sieht seit meinem letzten Besuch vor zwei Monaten um Jahre gealtert aus. Nachts geht er auf Patrouille, er besucht die zehn Soldaten aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, die an verschiedenen Punkten stationiert sind, kontrolliert die Tore zu den Häusern der Ashkalija und ist die ganze Nacht unterwegs. Seit Beginn des Krieges am 24.03.1999 wacht er in der Nacht. Er kann nur zwei-stundenweise schlafen.Während der Pogrome war er mehreremale vor den Augen seiner Familie schwer zusammengeschlagen worden, allein er und seine Frau weigern sich, ihre Heimat zu verlassen.
Ich besuche die anderen Familien. Wieder werden mir bewegende Geschichten aus der Zeit des Höhepunktes der Pogrome berichtet. Die Ashkali-Gemeinschaft wird von einem amerikanischen Mitarbeiter einer Quäker-Organisation aufgesucht, der als Menschenrechts-Monitor im nahegelegenen Mitrovica sein Büro hat. Ich muß ihm viele Fragen nach den Ashkali beantworten, da er bei seiner Vorbereitung für diese Aufgabe nicht über die anderen Minderheiten im Kosovo informiert worden war. Mit Hilfe von Uka Kadrolli photographiere ich etwa 70 zerstörte Häuser in dem großen, nach dem Krieg verwüsteten Ashkali - Viertel der Stadt. Nach meinem Eindruck ist die Mehrzahl der zerstörten Häuser von Vucitrn erst nach dem Krieg von Albanern zerstört worden. Wir müssen uns konspirativ beim Fotografieren verhalten, da es gefährlich ist, sich offen für das Schicksal der Zigeuner zu interessieren. Leider konnte ich nicht das Viertel der Roma aufsuchen und dort fotografieren. Niemand von den Ashkali hat den Mut, mich dorthin zu führen aus Angst vor aggressiven Albanern. Später am Abend besuche ich die Krankenschwester Sevdije Kelmendi Ich erfahre von ihr, daß sie zwei Tage nach der Entführung von Xhemajl Qizmolli an ihrem Arbeitsplatz in der Ambulanz einen Anruf erhalten habe, sie solle ihre Arbeit aufgeben, sonst werde sie ebenfalls entführt. Seitdem kann sie nicht mehr ihrer Arbeit nachgehen. Allerdings wird sie zu Hause von Patienten aufgesucht, die sie, ohne Bezahlung zu verlangen, medizinisch versorgt. Albanische Patienten riskieren allerdings, von albanischen Extremisten bedroht zu werden, wenn sie weiterhin zu der Zigeunerin gingen, mutmaßt die Krankenschwester. Als ich sie nach dem Schulbesuch ihrer 16, 14 und 10 Jahre alten Kinder frage, bricht sie in Tränen aus. Sie zeigt mir die Zeugnisse der albanischen Schule der letzten Jahre mit zum Teil hervorragenden Noten. Ihr ältester 16 jähriger Sohn berichtet mir unter Tränen, daß er nach Schulbeginn Mitte September 1999 dreimal in seine alte Schule gegangen war. Schon auf dem Weg dorthin sei er von gleichaltrigen Schülern belästigt und bedroht worden, unter anderem mit den Worten Was, du bist immer noch hier, man hat euch doch gesagt, ihr sollt verschwinden, kein Platz im Kosovo für Zigeuner. Auch habe man ihm mit Handzeichen das Halsabschneiden gezeigt. Männer in Zivil hätten seine Papiere kontrolliert. Ihnen habe er eine von der UÇK ausgestellte Bescheinigung gezeigt, die ihn als Unterstützer der UÇK auswies. Die Bescheinigung sei gefälscht, dieses mal dürfe er noch nach hause zurückkehren, er solle sich aber nicht mehr blicken lassen. In der Schule seien dann seine früheren Freunde, die mit ihm Kontakt aufnehmen wollten, in seiner Gegenwart verprügelt und bedroht worden. Wer mit Zigeunern rede, werde bestraft. Sein früherer Lehrer, mit dem er sich vor dem Krieg gut verstanden habe, habe ihm trotz der offensichtlichen Bedrohung durch Mitschüler nicht geholfen und ihn im Unterricht nicht wahrnehmen wollen.
Sonntag 30.10.1999 Der Mitarbeiter der Gesellschaft für bedrohte Völker, Herr Paul Polanski, sucht mich im Haus von Fuad auf. Ich übergebe ihm Post und fahre mit ihm und seinem römischen Dolmetscher Hisen nach Mitrovica, um dort die Familie des Herrn Bajram Avdiu zu suchen und finden sie dort, blockiert, ohne eine Möglichkeit, das Haus zu verlassen. Die kleine Tochter hat offene Ekzeme an den Beinen. Es ist der Familie jedoch nicht möglich, einen Arzt aufzusuchen. Dunkelhäutig, riskieren sie in der Öffentlichkeit Leib und Leben, wenn sie auf der Strasse gesehen werden. Médecins du Monde werden von Herrn Polanski auf diese Familie aufmerksam gemacht. Abends wieder Besuche in verschiedenen Familien. Mir wird berichtet, daß Albaner den alten Friedhof der Ashkalija langsam,
aber systematisch zerstörten. Über den Gräbern ihrer verstorbenen
Familienmitgliedern und Vorfahren entstünden Fahrwege und Häuser würden
gebaut. Niemand sei bereit, diesem Treiben Einhalt zu gebieten. Montag, 01.11.1999 Es kommen nacheinander Vertreter mehrerer internationaler Organisationen in das Haus von Uka: OSZE, UNHCR, American Friends Service Committee und eine amerikanische human rights Aktivistin. Man wird langsam auf die Lage dieser Minderheit aufmerksam. Die Menschenrechtsaktivistin aus Amerika erklärt den versammelten Ashkalija die Demokratie. Menschenrechte seien ein unverzichtbarer Aspekt der Demokratie. Sie klärt die Anwesenden über die Pflichten der Mehrheitsbevölkerung gegenüber den Minderheiten auf. Als sie in diesem Zusammenhang schlecht über Tito spricht, werden die Männer unruhig, zwei von ihnen verlassen verärgert den Raum. Die Gute hatte ganz übersehen, daß sie zu einer am Leben bedrohten Minderheit spricht und ist ganz überrascht von deren Reaktion. Sie ist ratlos und läßt sich von mir die Situation erklären. Um 17:05, als sie sich verabschieden will, hören wir ganz in der Nähe eine laute Explosion. Ohne von der Amerikanerin Abschied nehmen zu können, rennen wir zum Haus des Abdush Qizmolli um nachzusehen, was passiert ist. Bei meiner Ankunft sind bereits zwei blutjunge KFOR-Soldaten (Vereinigte Arabische Emirate) am Ort des Anschlages. Sie wirken hilflos und ängstlich. Vor dem Tor eine größere Ansammlung gutgelaunter Albaner. Ich fotografiere die Explosionsstelle. Glücklicherweise ist die Splittergranate direkt am Betonsockel der Treppe zum Eingang des Hauses explodiert, sodaß die ganze Wucht der Explosion abgeleitet wurde. Die UN-Polizei war telefonisch von den Ashkalija alarmiert worden. Der albanische Dolmetscher am Telefon habe gemeint, sie hätten jetzt keine Zeit. Die Polizei käme später. Als ein junger Ashkali telefonisch der Polizei mitteilt, er käme jetzt sofort mit einem Dolmetscher zur Polizei, habe der Albaner plötzlich hektisch reagiert und gemeint, die Polizei käme sofort. Fünf Minuten später trafen zwei UN -Polizisten ein. Fuad Bucolli übersetzt ins Englische. Es werden keine Augenzeugen gesucht, der Explosionsstelle wird nicht nach Spuren abgesucht. Das Attentat ist natürlich d a s Thema des Abends. Die Leute erinnern sich, wie Albaner die Meinung vertraten: wenn Abdush geht, verlassen auch die anderen Ashkali das Kosovo. Ihnen ist klar, daß ein Attentat auf die Familie Qizmolli der Ashkali-Gemeinschaft insgesamt gilt. Ein Nebenthema ist mein Fuß. Ich war auf dem Weg zum Explosionsort falsch aufgetreten und der Fuß schmerzt. (Später, zurück in Deutschland, wird sich herausstellen, daß der Fuß angebrochen ist). Glücklicherweise leben ein Krankenpfleger und eine Krankenschwester unter den Ashkali von Vucitrn, die viele Jahre in der guten alten Zeit in Libyen als jugoslawische Gastarbeiter in ihren Berufen gearbeitet hatten, sodaß mein Fuß allerbeste erste Hilfe erhält: Eisbeutel und ein fester Verband. In der Nacht träume ich von einem einsamen Haus, um das ununterbrochen böse Wölfe kreisen.
Dienstag, 02.11.1999 Am Morgen finden sich UN Polizisten und der Kommandeur der arabischen KFOR-Truppen im Hof von Abdush ein. Jetzt erst werden die Spuren gesichert, das heißt, die Reste der Granate werden eingesammelt, die von Splittern durchsiebte Holztür begutachtet. Der Dolmetscher, ehemals Hodscha einer der jetzt zerstörten drei Moscheen behauptet, die anwesenden Ashkali seien allesamt unglaubwürdig, sie sollten nicht vergessen,welche Gräueltaten sie den Albanern angetan hätten und überhaupt handele es sich sowieso nicht um eine Granate sondern um einen Knallkörper. Es wird nach Augenzeugen gefragt, ob jemand den Täter gesehen habe, was aber nicht der Fall ist. Danach trifft eine Gruppe der TMK ein, um den Fall ebenfalls zu untersuchen. Zwei Männer in Uniform, zwei in Zivil, der Beauftragte der TMK für Minderheiten, Bajram Beqiri, sowie eine Frau. Damit nicht vergessen wird: die TMK besitzt überhaupt keine Polzeigewalt. Einer der Männer in Uniform wurde als Teilnehmer bei den Pogromen von Juni/Juli 1999 wiedererkannt. Insgesamt kann das Auftreten der TMK nur als gleichgültig bis feindselig bezeichnet werden.Sie beschuldigen Xhavit Qizmolli, nach dem Anschlag mit einem Karabiner zum Tatort gekommen zu sein. Nachmittags fahre ich nach Gilane, um mit Herrn Mulaj zu beraten, wie im Entführungsfall vorgegangen werden soll. Da er kurz vor meiner Ankunft nach Prishtina abgefahren war, konnte ich ihn nicht treffen, dafür aber seinen Sohn Arben Ich verabrede einen Treff für den nächsten Tag. Abends ist mein Plan, die Stimmung durch das Erzählen von Geschichten aufzuhellen, bei meinen Gastfamilien erfolgreich. Wir alle haben viel gelacht.
Mittwoch, 03.11.1999 Um 10:00h werde ich freundlicherweise vom UN Civil Administrator der Gemeinde Vucitrn, Mr. Dennison Lane im UN Jeep abgeholt, da ich wegen meinem Fuß nicht so weit gehen kann, und übergebe ihm in seinem Büro eine Liste mit Namen von an den Pogromen im Juni und Juli beteiligten Personen, die jetzt in der Stadt eine wichtige Rolle spielen sollen. Er ist ehemaliger Oberst einer Spezialeinheit der US Army im Ruhestand und gefällt mir sehr gut. Besuch der römisch-katholischen Kirche in Urosevac/Ferizaj. Der Priester, Dom Alberti, auch Leiter der Karitas Kosovo, hat die Zeit des NATO-Bombardements als Priester in Pec verbracht. Dort hätten die Zigeuner mit den Serben gemeinsame Sache gemacht. Die Roma kennt er nur als unerfreuliche Sozialfälle. Daß im Kosovo sehr viele in die albanische Gesellschaft integrierte, nur albanisch sprechende Ashkalije leben, ist ihm nicht bekannt. Wie UÇK - Propagandisten vertritt auch er die These einer Gesamtschuld der Zigeuneran den Gräueltaten der Serben. Er meint, sie sollten sich nicht wundern, daß sie nun bestraft würden. Eine Kultur des Vergebens sei leider in der albanischen Tradition unbekannt. Möglicherweise muss er sich vorsichtig verhalten angesichts der weitgehenden Kontrolle der Bevölkerung durch die UÇK und muß bei einem ersten Kontakt mit Unbekannten aus Selbstschutz die offizielle albanische Sprachregelung übernehmen. Er berichtet, vor dem Bombardement der NATO von albanischenWegelagerern bei einer Fahrt mit seinem Auto nach Einbruch der Dunkelheit in der Gegend von Klina ausgeraubt worden zu sein..Die (serbische) Polizei habe er nicht eingeschaltet, sondern die Angelegenheit auf albanische Weise geregelt. Er habe die Identität der Räuber ausfindig machen können und den größten Teil seiner Habe wieder zurückerhalten. Er beschützt eine große Zahl Roma, in den Häusern hinter der Kirche, mit einem Zaun gegen die Strasse und steht ihnen bei, so gut er es kann. Das Gespräch mit ihm ist wenig ergiebig. Danach fahre ich nach Gilane, um mich mit Herrn Mulaj zu treffen.Der Sohn gibt mir einen neuen Termin: 17:00h. Es wird ein konspiratives Treffen werden. Ich werde gebeten, mich umsichtig zu verhalten.Als Gast von Zigeunern stelle ich eine potentielle Gefahr dar. Die UÇK solle keine Kenntnis von meinem Besuch bei Herrn Mulaj erhalten.. Herr Mulaj unterliege einer 24 - Stunden Observation durch die ehemalige UÇK, wird mir erklärt. Nach großen Umwegen durch die Stadt mit meinem kaputten Fuß und nach einer konspirativen Fahrt kreuz- und quer durch die Stadt, betrete ich die Wohnung der Familie durch den Hinterhof. Hier verspüre ich zum ersten Mal, daß nicht nur Minderheiten, sondern auch albanische Disssidenten konkret von den derzeit herrschenden albanischen Machtstrukturen bedroht sind. Und auch hier kann es um das Leben der Betroffenen gehen. Herr Mulaj war unter der Autonomieregierung des Kosovo Polizeioffizier und im Krieg um Kosovo Offizier der UÇK. Das Verhalten der UÇK gegenüber den Minderheiten nach dem Krieg und ihr absoluter Machtanspruch hatten ihn nach dem Krieg veranlasst, das Angebot der UÇK abzulehnen, in ihren neuen Polizeistrukturen mitzuarbeiten. Seitdem war er mehrmals sehr massiv bedroht und gewarnt worden, sich jeglicher politischer Tätigkeit zu enthalten. Er trauerte dem früheren Zusammenleben der drei wichtigsten Bevölkerungsgruppen nach: Albaner, Serben, Roma/Ashkalija. Er selbst ist befreundet mit einer der bedeutendsten Roma-Familien der Stadt,die mich auch gebeten hatte, in dem Entführungsfall des Onkels ^Shaban mit Herrn Mulaj Kontakt aufzunehmen.. Mulaj sieht in dieser Entführung, von der er schon lange Kenntnis erlangt hatte, einen kriminell - politischen Akt, der neben anderem auch zum Ziel haben könnte, mit der Elite der Roma und Ashkalija diese Minderheit insgesamt einzuschüchtern und zum Verlassen des Kosovo zu nötigen, und um etwaige Rückkehrer von solchen Gedanken abzuhalten. Auch soll nach seiner Einschätzung diePerson meines Kontaktmannes als Führungspersönlichkeit der Roma eingeschüchtert werden. Er bestätigt mit Nachdruck die Existenz einer parallelen geheimen Machtstruktur mit einem eigenen, sehr effektiven Geheimdienst. Das Zentrum dieser Struktur sei in der Nähe des tatsächlichen albanischen Machtzentrums zu finden, also bei dem General Agim Çeku. Ebenso bestätigt er die Existenz geheimer Gefängnisse. Mit Nachdruck mißbilligt er die Verfolgung und Vertreibung der Roma und Ashkalija durch Albaner. Ich bin um 21:00h wieder zu Hause. Ich wurde mit Sorge erwartet, da man besser nicht im Dunkeln unterwegs sein sollte. Sevdije berichtet unter Tränen, daß sie ihre Eltern, ihren Onkel und ihre kleine Nichte seit Juni vermisse. Die Häuser der Ashkali ihres Heimatdorfes seien sowohl von Serben im Krieg, als auch von Albanern nach dem Krieg zerstört worden. Wahrscheinlich seien die Vermißten entführt worden, wie so viele andere. Ihr Vater habe in ihrem Heimatdorf Land besessen und bearbeitet und daneben als Maurer gearbeitet. Sevdije ist mit ihren Nerven am Ende. Seit einem Jahr bis zum Beginn des Krieges und während des Krieges sei sie von der serbischen Polizei der Zusammenarbeit mit der albanischen Bevölkerung bezichtigt worden. Als während des Krieges das albanische medizinische Personal des Krankenhauses geflüchtet sei, hat sie albanische Familien unter großer persönlicher Gefahr in deren Häusern aufgesucht und behandelt. Jetzt sei aber eine neue Zeit angebrochen, und es gebe keinen Platz für Zigeuner. Ihre Standhaftigkeit, ihr Mut und ihre Menschenfreundlichkeit beeindrucken mich sehr.
Donnerstag, 04.11.1999 Abdush kommt mit seinem Sohn Xhavit und berichtet, Xhavit habe von der TMK eine Vorladung für heute Vormittag erhalten. Er sei am Montag nach dem Attentat mit einem Gewehr herumgelaufen und solle dazu aussagen. Beide befürchten zu Recht eine mögliche Entführung. Ich gehe mit Xhavit zum Civil Administrator und wir berichten von dieser Vorladung. Xhavit meint, er werde zum Verhör gehen. Vor dem Rathaus wartet Abdush und beide gehen hinüber zur TMK. Nach einer halben Stunde verlassen beide das Gebäude der TMK. Sie wunderten sich, daß der Offizier behauptet habe, heute zum ersten Mal etwas von der Entführung von Xhemajl Qizmolli zu hören. Sonst sei das Verhör ohne besondere Vorkommnisse geführt worden. Hier liegt, auch nach Einschätzung des Civil Administrators, eine grobe Kompetenzüberschreitung seitens der TMK vor. Außerdem sei die TMK über die Ermittlungen im Entführungsfall unterrichtet worden. Am Nachmittag besuche ich in Prishtina die albanische Gastfamilie meiner ersten Reise. Wir besuchen ein Stadtteilbüro in dem versucht wird, die Bürger zu eigenständiger Mitarbeit bei den kommunalem Problemen zu motivieren.
Freitag, 05.11.1999 Der Leiter der European Community Monitor Mission, Herr Obermüller, fährt mich freundlicherweise mit einer jungen kroatischen Dolmetscherin zu den eingeschlossenen Ashkalija in Vrela. Dort übergebe ich Post von verschiedenen Verwandten in Deutschland und ein großes Paket. Gegenwärtig leben hier 113 Personen, etwa dreißig haben seit meinem ersten Besuch im September diesen Ort verlassen, wohin, ist nicht mit Sicherheit herauszubekommen. Alle sind Binnenflüchtlinge aus dem Ort Magura in der Nähe (s. Bericht der ersten Reise).Dort hat es vor dem Krieg 90 bis 100 Häuser von Ashkali gegeben und 20 Häuser von Roma. Heute sind alle zerstört. Wir fahren mit einem Ashkali ins benachbarte Magura, wo ich Fotos in der komplett zerstörten Ashkalisiedlung mit ihren früher schönen, großen Häusern mache. Während des Krieges hatten serbische Truppen den größten Teil der albanischen Häuser zerstört. Magura ist jetzt ein rein albanischer Ort. Wir wissen, daß ihr sauber seid, aber jetzt gibt es keinen Platz mehr für Zigeuner, soll die UÇK bei der Vertreibung verkündet haben. Alle Ashkali haben die Besitzurkunden ihrer Grundstücke bei sich. Sie vermuten, daß sich die Unterlagen des Katasteramtes in Gracanica befinden. Niemals werden sie ihre Heimat verlassen, erklären sie trotzig, und ihre Ansprüche aufgeben. Sie berichten von den Ereignissen der letzten Monate. Auch hier habe es - nach meinem ersten Besuch im September 1999 - eine Entführung gegeben. Islam Kadriu,18 Jahre alt, ebenfalls aus Magura, während des Krieges mit seinen albanischen Nachbarn im Flüchtlingslager in Mazedonien, habe das Geld für seine Flucht nach Deutschland bei sich gehabt und sei mit seiner Mutter zu einem Abschiedsbesuch nach Vrela gekommen. Nachdem beide Vrela verlassen hatten, war er in Gegenwart seiner Mutter von mehreren Männern weggeführt und seitdem nicht mehr gesehen worden. Im September sei das vier Monate alte Kind Burriu Sefa mangels ausreichender ärztlicher Versorgung gestorben. Die Albaner von Magura hätten eine Bestattung auf dem Friedhof von Magura verweigert.Jetzt liege das Kind in einem serbischen Friedhof, nicht bei seinen Vorfahren und Verwandten. Bajram Avdiu habe bis zum Ende des Krieges jahrelang im Rat der Moschee der umliegenden sieben Dörfer gesessen. Dieses spielt jetzt keine Rolle mehr. Sein Haus sei von Albanern zerstört worden, brutal sei er von Albanern vertrieben worden. Auch der Besuch der Gräber des Friedhofs von Magura sei den Ashkalija in Vrela verwehrt. Schulbesuch sei unmöglich. Auf dem Weg dorthin könnten die Kinder entführt werden. Für die beiden im fünften Monat schwangeren Frauen gebe es nur eine ambulante Versorgung im russischen Militärhospital des nahegelegenen Flughafens von Prishtina. Humanitäre Hilfe sei nur im albanischen Dorf zu erhalten, wohin die Ashkali aus begründeter Angst vor Mißhandlungen und Schikanen nicht hingehen könnten. Auch sei eine Entführung nicht auszuschließen. Sie lebten von Vorräten. Eine einzige Frau mit weißer Hautfarbe könne das Dorf für Einkäufe verlassen. Am Abend wieder zu Hause. Merime berichtet empört von ihrem Versuch, auf dem Markt gemeinsam mit ihrem Vater Gemüse einzukaufen. Mehrere Händler hätten sich geweigert, ihnen etwas zu verkaufen und mit Gesten des Halsabschneidens gesagt, die Zigeuner wüßten doch, daß es im Kosovo keinen Platz für sie gebe, man habe es ihnen doch gesagt. Sie sollten sofort verschwinden, sonst gäbe es ernste Probleme. Während Imerime dieses berichtet, kommt eine ältere Frau, Fatima Kadrolli, den Tränen nahe. Sie hat auf dem Markt dasselbe erlebt. Wir alle sind erschüttert. Eine kalte Vertreibung: keine Schule, keine Arbeit, Verweigerung beim Einkaufen und ständig der Hinweis, es gebe keinen Platz mehr für die Zigeuner.
Samstag, 06.11.1999 10:00 mit Dr. Morina bei den Médecins du Monde, Abteilung Psychiatrie. Mit ihnen wird verabredet, daß sie Dr. Zeqiri konspirativ im Jeep mit dunklen Scheiben in den Hof von Abdush bringen. Er hatte bis zum Krieg gute persönliche Kontakte mit den Ashkalija, besonders mit der Familie Qizmolli, fürchtet sich aber davor, offen Kontakt mit den Ashkalija aufzunehmen. Andererseits wollte er die Menschen, besuchen und sich ein Bild von ihrer Lage machen. Er ist einer der wenigen Albaner, der von dem Schicksal der Ashkalija erschüttert ist. Die Idee, die Ashkalija konspirativ zu besuchen, gefällt ihm. Auf diese Weise wird niemand erfahren, daß er Zigeuner besucht hat. Im Viertel Largja e Shpitalit, in dem das Haus von Dr. Zeqiri steht, sehe ich viele Männer, Frauen und Jugendliche, die das gesamte Gelände von Unrat säubern. Es herrscht eine Atmosphäre von Fröhlichkeit. Ich freue mich mit ihnen, daß es gelungen ist, eigene Probleme selbst in die Hand zu nehmen und nicht auf die da oben - das heißt heutzutage auf die Amerikaner - zu warten. Praktizierte Demokratie. Ich übergebe dem 16 jährigen albanischen Schüler Visar Halili sein Geschenk, eine deutsche Übungsgrammatik. Er freut sich sehr. Wir verabreden, daß er von mir jede Unterstützung bei der Suche nach einem Stipendium erhält, falls er in Deutschland nach Abschluß des Gymnasiums studieren will, gute Noten vorausgesetzt. Als ich abends nach Hause komme, hat Igballa mir bereits heißes Wasser zubereitet. Sie hat es aus dem 10 m tiefen Brunnen mit einem Eimer am Strick heraufgeholt. Die städtische Wasserversorgung ist, wie die Stromversorgung, zusammengebrochen. Endlich kann ich mich von Kopf bis Fuß waschen und mir warmes Wasser über den Kopf und den ganzen Körper gießen. Ihr bin ich für ihre freundliche Betreuung während der vierzehn Tage in Vucitrn ganz besonders dankbar. Die Eltern von Ali Kelmendi, Uka und Alisa und seine Schwester Igballa berichten: Direkt nach ihrer gewaltsamen Vertreibung Ende Juni 1999 war der Albaner Shvarqa in ihr Haus eingedrungen und hatte es bei ihrer Rückkehr aus Novo Sad immer noch besetzt. Alle Versuche, ihr Haus wieder auf friedlichem Weg in Besitz zu bekommen, schlugen fehl. KFOR schließlich entschied, das Haus sei von Familie Shvarqa bis Ende April zu räumen. Uka, Alisa und Igballa seien mehreremale in ihrem Haus gewesen und hätten zu ihrem Entsetzen feststellen müssen, das wesentliche Teile der Einrichtung verschwunden seien. Herr Shvarqa habe ihnen gesagt, im Falle eines erzwungenen Auszuges müsse die Familie Kelmendi mit Zerstörung ihres Hauses rechnen. KFOR könne schließlich das Haus nicht ständig bewachen.
Sonntag, 07.11.1999 Früh morgens sehe ich mehrere Albaner auf der Strasse vor dem Haus. Meine Freunde haben diese Leute noch nie gesehen. Sie betrachten jedes Haus, begutachten es und reden über die Häuser. Für mich ist es eine ungute Szenerie. Einen Mann spreche ich an und frage, was er suche. Er antwortet auf Deutsch und fragt, ob er das Haus des Ashkali Nexhat Berisha besetzen kann. Er erklärt mir, daß er vor ein paar Tagen aus Deutschland zurückgekehrt sei. Es habe viel Druck gegeben, jetzt freiwillig zurückzukehren. Er zeigt mir seine Ausreisepapiere. Er komme aus dem Dorf Dumnica, Gemeinde Vucitrn, sein Haus sei zerstört und er wohne mit seiner Familie im Zelt. Seine Frau sei krank. Ich bitte ihn, zum amerikanischen Civil Administrator zu gehen, und ihn um Abhilfe zu bitten, damit dieses Problem auf zivilisierte Weise gelöst werden könne. Dies verspricht er mir. Eine Nachbarin, Ashkali, berichtet, sie sei gerade im Gemüseladen nicht bedient worden mit den Worten: Hau ab, es gibt keinen Platz für euch im Kosovo! Mittagessen bei dem Civil Administrator, Herrn Dennison Lane, Oberst i.R der US Army. Er trägt mir auf, folgende Bitten nach Deutschland zu tragen:
Am Abend kommt Nesim aus dem Metzgerladen in Mitrovica zurück und berichtet, er sei von drei maskierten Männern mit Messern in der Hand zur Herausgabe der gesamten Tageseinnahme in Höhe von DM 1000.- gezwungen worden. Diese Männer seien dann nicht weit von der Tür von vier Männern in Uniformen der TMK festgehalten worden. Nach einem kurzen Wortwechsel haben diese die Räuber laufen lassen, obwohl sie von Nesim über den Raubüberfall informiert worden waren. Sie waren wohl zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Die tiefe Depression, die sich wieder einmal über die Gemeinde der Ashkali legt, ist fast mit Händen zu greifen. Ich kann mich nicht entziehen. Abends zum Ende meiner Runde zu einigen der Ashkali-Familien bin ich wieder wie immer bei der Krankenschwester Sevdije zu Besuch. Sie bereitet mir nach libysch-arabischem Rezept eine wohlschmeckende warme Milch (aus Michpulver). Sie erzählt die Geschichte der ersten Tage nach Abzug der serbischen Truppen. Die französischen Truppen hätten am ersten Tag nach ihrem Einrücken in Vucitrn den Ashkali guten Schutz geboten. Drei Panzer beschützten das Ashkali-Viertel. Leider seien diese und die Truppen 24 Stunden später wieder abgezogen worden. Niemand weiß, warum. Die Ashkali vermuten, daß die UÇK, schließlich die Verbündeten der NATO, gezielte Desinformation betrieben hätte, denn bald darauf verhielten sich die französischen Soldaten den Ashkali gegenüber sehr reserviert. Die Ashkali erinnern sich, daß im Kontakt mit den Franzosen häufig das englische Wort pick-pocket (Taschendieb) fiel. Ahmet Hasani vom UÇK Stab, jetzt bei der TMK, erklärte der Abordnung der Ashkalija und Roma, die UÇK habe keine Möglichkeiten, Schutz zu gewähren. Von da an hätten die Albaner freie Hand gehabt. Die wehrlosen Ashkalija und Roma seien auf sich allein gestellt gewesen. Seit diesem Tag bis Anfang August 1999 hätten täglich Ausschreitungen gegen Ashkalija und Roma stattgefunden mit Mißhandlungen, Plünderungen und Brandstiftungen. Oft seien Angehörige der UÇK in Uniform oder Zivilkleidung beteiligt gewesen, indem sie vor der eigentlichen Vertreibung Häuser durchsucht hätten. Sie hätten auch Geld mitgenommen. Mir wurde kein Fall berichtet, daß die UÇK gegen die Pogrome eingeschritten wäre. Der junge Ashkali Bajrami sei bei der Stadtverwaltung von Vucitrn angestellt gewesen.Er habe als Arbeiter in der Friedhofsverwaltung gearbeitet. Während des Krieges habe er er Leichen ermordeter Albaner bestatten müssen. Gleich zu Beginn der Pogrome sei er entführt und gefoltert worden unter der Anschuldigung, an serbischen Massakern an Albanern teilgenommen zu haben. Nachdem ihm beide Beine gebrochen worden waren, sei er freigelassen worden. Das Haus seiner Familie sei geplündert und in Brand gesteckt worden. Ein paar Tage nach Beginn der Verteibung sei die Militärpolizei der UÇK zum Haus der Frau Sahare Plavci gekommen, einer alten Frau, die mit ihrem 30 Jahre alten jüngsten Sohn Ali dort wohnte. Sie hatte sich die Tage zuvor standhaft geweigert, allen Mißhandlungen zum Trotz, ihr Haus zu verlassen. Ali solle mitkommen hätten die Männer der UÇK befohlen, sie hätten nur ein paar Fragen an ihn. Mutter Sahare habe geweint, Gott laut als Zeugen angerufen, daß ihr Sohn nichts Unrechtes getan habe, und gebettelt, ihren letzten Sohn bei ihr zu lassen, oder sie zusammen mit ihrem Sohn zur Militärpolizei gehen zu lassen. Mehrere Menschen, Albaner und Ashkali hätten diese Szene beobachten können, die sich vor dem Haus abgespielt habe. Sahare und Ali seien mit der Militärpolizei mitgegangen. Am Nachmittag wurde das Haus geplündert, Möbel, Herd, Waschmaschine, Fernseher, Werkzeug, kurz alles, was sich im Haus befand, wurde mit einem Traktor davongefahren und das Haus angezündet. Seit Juni 1999 seien beide verschollen. Niemand habe je wieder etwas von ihnen gehört. Von den ca. 1625 Ashkali vor dem Krieg leben nur noch 135 in Vucitrn. Von den ca. 300 Häusern Ashkalija vor dem Krieg wurden mehr als 250 Häuser völlig zerstört. 19 Häuser werden gegenwärtig von den verbliebenen Ashkali bewohnt, die restlichen Häuser sind von Albanern besetzt. Kein einziger Rom lebt mehr in Vucitrn. Von den ungefähr 1500 Roma lebt niemand mehr in Vucitrn. Ihre 300 Häuser vor dem Krieg sollen fast alle nach dem Krieg von Albanern ausgeraubt und zerstört worden sein. Insgesamt sind etwa 500 bis 550 Häuser nach dem Krieg zerstört worden, nach meiner Wahrnehmung mehr, als albanische Häuser von Serben zerstört wurden.
Montag, 08.11.1999 10:30h: Besuch bei Dr. Bujar Bukoshi, (LDK) Ministerpräsident der legalen Regierung von Ibrahim Rugova, mir aus Deutschland gut bekannt und vertraut. Wir freuen uns gemeinsam über dieses Treffen im freien Kosovo.Er hat eineinhalb Stunden Zeit für mich. Sein Bericht über die Nicht-Akzeptanz seiner Regierung durch die internationale Öffentlichkeit stimmt nachdenklich. Bei seinem Besuch in USA September 1999 sei er nur auf sehr unterer Ebene empfangen worden. Die USA favorisierten ausschließlich die Strukturen des Hashim Thaçi, einer Regierung von Wilden, aus den Wäldern, die in ihren radikalen politischen Plänen (ethnische Säuberungen) außerdem noch eng mit informellen und unkontrollierten Strukturen zusammenarbeite, die in der Republik Albanien verwurzelt seien. Er unterstütze den größten Teil der Äußerungen von Veton Surroi hinsichtlich eines tatsächlichen existierenden Faschismus in einzelnen Segmenten der kosovarischen Gesellschaft. Was Roma und Ashkalija anbelangt, zeigt sich Dr. Bukoshi sehr gut informiert. Er hat klare Vorstellungen von den Strukturen dieser Gesellschaften. Sein Mitgefühl gegenüber dem Schicksal dieser Minderheiten erscheint mir glaubhaft. Ich bitte ihn um Vermittlung im Entführungsfall Mulaj. Er sagt mir zu, über ihm zur Verfügung stehende Kontakte mit der UÇK einen Kontakt mit den Entführern herstellen zu wollen. Zweimal habe ich ein schwarzes Luxusauto mit dem Aufkleber Mabetex gesehen. Mabetex ist die Firma des Kosovo - Albaners Behgjet Pacolli in Lugano, die eine Rolle in den Finanzskandalen der Familie Jelzin spielt. 12:30h: Médecins du Monde holen mich bei Dr. Bukoshi ab. Im Chevrolet-Jeep Dr. Bernard, der französische Leiter der Abteilung Psychiatrie und der kosovarische Arzt Dr. Zeqiri. Die Ashkalija von Vucitrn warten auf uns und bei unserer Ankunft wird sofort das Tor geöffnet und wir eilen hinein, damit Dr. Zeqiri nicht von Albanern erkannt wird. Er spannt sogar einen Regenschirm auf. Freundliche Begrüßung auf beiden Seiten, teilweise mit Umarmungen. Er ist der erste Albaner seit Monaten, der die Ashkali aufsucht. Sevdije, Xhavit Qizmolli, Brahim Ukshin und Uka Kadrolli (einer der bekanntesten Musiker des Kosovo) berichten über ihre derzeitige Lebenssituation. Dr. Zeqiri ist sehr betroffen. Er führt außerdem therapeutische Gespräche mit Sevdije, ihrem traumatisierten Sohn Ali und mit dem Vater des entführten Xhemajl und verordnet Medikamente (die ich später aus Prishtina mitbringe). Nach zwei Stunden fahre ich mit Médecins du Monde zurück nach Prishtina um bei der Central Criminal Investigation Unit, der Intelligence der UN-Polizei, die Entführungen von Xhemajl aus Vucitrn und Shaban aus Gilane anzuzeigen und um nachdrückliche Nachforschungen zu bitten, da die UN-Polizei von Mitrovica den Fall liegen läßt. Die Existenz geheimer paralleler Machtstrukturen und geheimer Gefängnisse der UÇK wird auch hier von den Polizeioffizieren bestätigt. Ein höherer amerikanischer UN Beamter, der auch mit diesen Entführungen befaßt wird, meint zur inneren Verfassung der kosovarischen Gesellschaft: I´m sorry, but I think we have created a monster. Die Aussichten auf einen guten Ausgang dieser Entführungen seien nicht sehr günstig. Immer wieder fände man Ermordete, bei denen eine Entführung vorausgegangen sei.
Dienstag, 09.11.1999 Mit Ali suche ich Mr. Lane, den Civil Administrator im Rathaus auf. Da dieser beschäftigt ist, müssen wir recht lange warten und beobachten das Kommen und Gehen der Klienten. Der ehemalige Klassenlehrer der albanischen Schule von Ali, mit dem er im vergangenen Schuljahr bis zum Krieg immer eine gute Beziehung gehabt hatte, ist auch anwesend und wartet. Ali, schüchtern, versucht seinen Blick zu fangen. Nach einer guten halben Stunde endlich erwidert der Lehrer Alis Gruß mit einem knappen Nicken des Kopfes, ohne eine Regung in seinem Gesicht zu verraten. Eine traurige Erfahrung für den sechzehnjährigen Ali. Der Civil Administrator erhält von mir eine Liste mit weiteren Namen von an den Pogromen beteiligten Personen. Wir einigen uns, diese Informationen nur im Einvernehmen mit den Ashkali zu verwenden. Nach dem Besuch im Rathaus gehe ich mit Ali in der Stadt spazieren. Dies ist sein erster Gang durch seine Heimatstadt seit März 1999. Wir trinken eine Cola in dem Café/Diskothek,wohin er vor dem Krieg seine Freundin ausgeführt hatte. Diese, auch Ashkali, war zu Beginn der Pogrome geflüchtet. Seitdem hat Arben keinen Kontakt mehr mit ihr. Auch diese Geschichte ist ein Teil von Alis Trauma. Am Nachmittag Versammlung der Ashkali mit mir, um das Thema Exodus zu besprechen. Mir werden viele Fragen gestellt:
Die versammelten Männer und die Krankenschwester Sevdije beschließen, wenn es soweit kommen sollte, nicht vereinzelt, sondern in einem kollektiven Exodus das Land zu verlassen. Sie hätten nichts gegen eine Präsenz ausländischer Medien einzuwenden, um so aus der Niederlage einer Flucht vor radikalen albanischen Strukturen ein politisches Signal zu machen. Abends, wie stets, hören wir bei Fuad Voice of America, BBC (mit der höchsten Glaubwürdigkeit bei den Ashkalija) und die Deutsche Welle mit Nachrichten für Kosovo. Er trauert um seine albanischen, russischen, serbischen und englischen Bücher, die dem polyglotten Mann geraubt wurden. Beim Einzug der UÇK sei die städtische Bücherei von allen nichtalbanischen Büchern gesäubert worden. Sie seien zum Fluß gebracht und dort wie Müll abgeladen worden. Es erinnere ihn an die Bücherverbrennung der Nazis. Überschrift mit großen Lettern in der Tageszeitung Rilindja: Großvater, ich darf nur albanisch sprechen. Eine klare Botschaft an Angehörige der Minderheiten.
Mittwoch 10.11.1999 09:00h. Ich besuche mit Dr. Zeqiri und meinem lieben albanischen Freund Tefik Ahmeti aus Mannheim die Universitätsklinik von Prishtina. Der Leiter der Klinik soll ein Arzt sein, der 10 Jahre nicht in seinem Beruf gearbeitet habe, dafür aber im Krieg bei der UÇK gewesen sein soll. Ihm wird der Niedergang der Klinik zur Last gelegt. Dr. Zeqiri und ich erhalten einen Gesprächstermin bei dem englischen Administrator der Klinik. Zuvor hatten die albanischen Damen und Herren der Klinikverwaltung ein Gespräch mit dem Civil Administrator verhindert. Dr. Zeqiri kann ihm seinen Wunsch vortragen, als anerkannter Facharzt für Psychiatrie mit 20-jähriger Berufserfahrung in dieser Klinik angestellt zu werden. Dieses hatte ihm die albanische Klinikleitung aus politischen Gründen verweigert - er sei Kollaborateur der Serben gewesen, sei während des Krieges nach Mazedonien geflüchtet und habe sich von dort nach Frankreich ausfliegen lassen. Er sei sich nicht im Kosovo/a geblieben und habe nicht an der Seite der UÇK gekämpft. Dr. Redmond verabredet mit ihm die Modalitäten der Anstellung. Danach besuche ich mit Tefik die Medizinische Mittelschule, an der er vor 1990 unterrichtet hatte. Diese entspricht teilweise unserer Berufsschule. Mir wird die Klasse bosniakischer Schülerinnen und Schülern vorgestellt. Diese, Moslems, sprechen zu Hause serbisch und ihre Familien siedeln seit der Zeit des Innenministers Rankovic im Kosovo. Diese Minderheit war nach dem Einrücken der NATO von Verfolgung und Vertreibung durch extremistische albanische Strukturen betroffen. Die Jungen und Mädchen werden unter zivilem Geleitschutz in die Schule gefahren. Auf meine Frage, ob sie Angst kätten, erfahre ich: ein bißchen schon. Der Direktor der Schule versichert mir, daß das Lehrerkollegium sich ganz besonders um die Sicherheit dieser Kinder kümmert. Mich erfaßt eine tiefe Depression angesichts krimineller extremistischer Gewalt gegen wehrlose Minderheiten und ihrer Verknüpfung mit der derzeitigen Macht. Nach einem langen Aufenthalt in einem Cafè neben dem UNMIK Hauptquartier, bei dem ich die gutgelaunten Angestellten der UN Verwaltung beobachten konnte, die mir wie von einem Raumschiff nach Prishtina importiert erschienen, suche ich einen deutschen BGS Offizier in der Abteilung Mord und Entführung der UNMIK-Polizei auf. Er bestätigt mir:
Er nimmt meine Anzeige der Entführung von Herrn Shaban aus Gilane auf. Im Büro von Dr. Bujar Bukoshi erfahre ich, daß dieser keine Informationen im Fall der Entführung von Shaban erhalten hatte. 18:00h reichliches Abendessen in der Familie meines jungen albanischen Freundes Visar. Um 21:00 bin ich wieder zu Hause bei meinen Ashkali-Gastgebern, die sich immer unwohl fühlen, wenn ich im Dunkeln noch unterwegs bin. Später zeigt mir Fuad Bucolli Fotos aus seiner Jugend, auf denen er stets zusammen mit seinen albanischen Freunden zu sehen ist.
Donnerstag 11.11.1999 Fahrt nach Rudica, Gemeinde Klina, Gilane und dem Dorf Grmovo, Gemeinde Viti. Kurz vor Klina muß ich einen großen Umweg nehmen. Auf der direkten Strasse nach Klina wird eine von italienischen Pionieren erbaute einspurige Ersatzbrücke in Betrieb genommen. An dieser Stelle hatte eine NATO-Rakete die alte Brücke zerstört. Unterwegs sehe ich eine riesige Anzahl von LKW`s, die Hölzer zum Bau von Dächern anliefern. In Rudica besuche ich die Familie Tarllamishaj, Ashkalija und kann erfreut feststellen, daß dort der Sohn der Familie tatsächlich die albanische Schule im Nachbardorf Budisalq besucht. Die Tochter hingegen bleibt zu Hause - zu groß ist die Gefahr einer Entführung; zu viele Frauen und Mädchen sind nach ihrer Entführung nicht mehr aufgefunden worden. Einige Familien sollen wieder zurückgekehrt sein. Ich übergebe die mir anvertraute Post und mache mich auf den Weg nach Gnjilane/Gjilan. Dort überbringe ich Post aus Deutschland; dieses Mal einer albanischen Familie. Die nächste Station dieser bis in die Dunkelheit reichenden Reise ist das Dorf Grmovo, Gemeinde Vitina/Viti. Ich besuche ein sehr altes Roma-Ehepaar, übergebe die Post, erkläre der Großmutter die Fotos mit ihren Kindern und Enkelkindern und berichte, was es Neues gäbe von den Kindern, Schwiegerkindern und Enkeln. Die Freude ist groß. Humanitäre Hilfe teilt die Hilfsorganisation Mutter Tereza aus, allerdings nicht an Personen, die Verwandte im Ausland haben, wird mir erklärt. Für Roma gibt es allerdings keine Möglichkeit, Geld an Verwandte in das Kosovo zu schicken. Die Banken arbeiten noch nicht, und nicht jeder Dunkelhäutige riskiert es, das Haus zu verlassen. Bei meiner Rückkehr in Vucitrn um 21:00h freuen sich alle, daß ich wieder da bin. Sie hatten Angst um mich gehabt. Refik sagt: Wenn wir wieder Arbeit haben und unsere Kinder in die Schule gehen können, dann brauche ich nicht zu fliehen. Er hatte am 15.09.1999 vom Leiter des Kulturhauses, der von der UÇK eingesetzt worden war, ein Schreiben erhalten, daß ihm die Aufnahme seiner alten Betätigung als Kassierer dieser Einrichtung bis zum 15.09.2000 untersagt sei. Gründe wurden nicht angegeben.
Freitag, 12.11.1999 Überraschend besucht uns, das Auto weiter weg stehen lassend, der richtige Albaner Herr Gani Ibërdemaj und berichtet von den Versuchen, eine Partei oder Interessenvertretung der Ashkali im Kosovo aufzubauen. Er lädt uns ein, mit ihm im Dorf Dubrava, Gemeinde Urosevac/Ferizaj den Hodscha, Herrn Sabit Rrahmani zu treffen, der dort in der Bildung dieser Vereinigung schon Fortschritte gemacht habe. Dubrava ein reines Ashkalidorf mit seinen 1000 Bewohnern ist während der Pogrome vollkommen unzerstört geblieben. Niemand von den Ashkali wurde verletzt. Wie ich zwei Tage später im Lager Stenkovac 2 in Mazedonien von Flüchtlingen unterrichtet wurde, die nach dem Krieg von Albanern vertrieben worden waren, sei der Hodscha vor Beginn des Krieges nicht, wie er verkündet hatte, nach Mekka zur Hadsch aufgebrochen, sondern heimlich als Kämpfer zur UÇK gegangen. Die Ashkalija aus Vucitrn und Herr Rrahmani trennen sich mit der Verabredung, dieses Projekt weiter zu verfolgen und den Kontakt zu halten. Ich fahre weiter nach Skopje, während meine Gefährten aus Vucitrn von Herrn Ibërdemaj nach Hause zurückgebracht werden. Am Abend bin ich in Skopje und fühle mich wieder in Europa. Ich übernachte bei einer uralten Dzambaz-Familie, deren stolze Erinnerung an die Vorfahren mehrere Generationen erfasst. Ich freue mich immer, wenn ich dieses genealogische Denken feststelle. Herr Trajan Sadriju übt den Beruf seiner Vorfahren auch heute noch aus. Hier soll ich genauere Informationen über die Entführung von Mulaj erhalten. Ich soll den Bruder des Entführten, Irfan, treffen.
Freitag, 13.11.1999 Zusammen mit meiner Gastfamilie versuchen wir vergeblich, Augenzeugen der Entführung von Shaban und sonstige Informanten zu treffen. Ich verabrede mit dem Sohn von Irfan mit diesem zu telefonieren. Mittags treffe ich mich zu einem Informationsaustausch mit Frau Brands von Amica, Gostivar. Von ihr erfahre ich, daß der renommierte Balkanexperte der TAZ in Skopje ist. Frau Brands gibt mir seine Telefonnummer. Am Nachmittag besuche ich für drei Stunden Fatmir Berisha und seine Familie, als deren Gast ich im Zelt in Krusevc/Obilic mehrere Tage gewohnt hatte, die jetzt als Flüchtlinge im Lager Stenkovac 2 leben. Ihrer Hoffnungslosigkeit kann ich nichts entgegensetzen. Es ist schon jetzt sehr kalt in den nicht winterfesten Zelten. Am Abend bin ich von Herrn Rathfelder (TAZ) zum Essen eingeladen. Zwei finnische Journalistinnen, entschiedene Freundinnen der UÇK, die in Wien ihren Wohnsitz haben, kommen hinzu. Herr Rathfelder bestätigt mich in meiner Einschätzung einer nach außen geschlossenen albanischen Clangesellschaft. Auch er hält die Existenz einer geheimen albanischen Parallelstruktur im Kosovo mit Geheimdienstcharakter als gesichert, ebenso die Existenz geheimer Gefängnisse. Übernachtung im Haus von Trajan.
Samstag, 13.11.1999. Rückfahrt nach Vucitrn. Die Polizisten selbst haben dann doch die Anzeige aufgenommen.
Sonntag, 14.11.1999 Die vierzehnköpfige Familie Ramë Krasniqi ist aus Novi Pazar, wohin sie im Juli 1999 geflohen waren, zurückgekehrt. Als angebliche Kollaborateure der Serben waren sie aus Vucitrn vertrieben worden, als angebliche Sympathisanten der Albaner hatten sie sich in Novi Pazar vor der serbischen Geheimpolizei fürchten müssen. Sie hätten sich dort vier Monate in einem Haus versteckt halten müssen. Zuvor waren sie in Kosovo Polje/Fush Kosova untergekommen, allein dort gab es nicht genug Platz für eine so zahlreiche Familie
Montag, 15.11.1999 Fahrt mit dem Civil Administrator im schicken UN Jeep nach Prishtina ins Hauptquartier der KFOR. Von dort zum Flughafen Zlatina und Abflug nach Frankfurt.
Infrastruktur In vielen Gemeinden (auch in Vucitrn) ist die Wasserversorgung zusammengebrochen. Dorthin, wo keine sauberen Brunnen vorhanden sind, muß Wasser in Tankwagen geliefert werden. Elektrizität gibt es unregelmäßig nur zwei- bis vier-stundenweise. Das zentrale Kohlekraftwerk in Obilic ist nicht zerstört worden. Obwohl die Serben die technischen Anlagen nicht abtransportiert hatten, und das Kraftwerk nicht zerstört worden war, ist es, immer noch nicht möglich, einen geordneten Betrieb zu garantieren.. Bis zum Ende des Krieges soll die Versorgung ausreichend gewesen sein. Neue Mitarbeiter wurden offensichtlich von der UÇK nach ihrer political correctness ausgesucht und frühere Mitarbeiter, Angehörige der Minderheiten der Serben, Ashkalija und Roma gekündigt. Personentransport zwischen den Städten klappt leidlich mit privaten Bussen ohne festen Fahrplan. Die Busse fahren wenn sie voll besetzt sind. Daneben fahren Kleinbusse. In die Dörfer kommt man nur mit einem der zahlreichen Taxis. Müll wird wild entsorgt. Die Städte sind unglaublich schmutzig. Die Strassen sind zu einem großen Teil durch direkte und indirekte Kriegseinwirkung in einem sehr schlechten Zustand. Fahrten von einer zur anderen Stadt sind sehr zeitaufwendig.Reparaturen werden von KFOR-Pionieren durchgeführt. Wegen der stets präsenten Gefahr, durch Banden ausgeraubt, verletzt, entführt und ermordet zu werden, ist es nicht ratsam, ohne militärische Begleitung nach Einbruch der Nacht unterwegs zu sein. Dies gilt vor allem für die ländlichen Gebiete. Kommunikation Das Telefonnetz funktioniert noch immer nicht überall. Teilweise kann, wie zum Beispiel in Ferizaj/Urosevac, nur innerhalb der Stadt telefoniert werden. Mobiltelefone können nur in Prishtina benutzt werden. So manche Internationale Organisation ist immer noch ohne zuverlässige Telekommunikation. Briefe; Päckchen und Pakete können wegen eines fehlenden Postwesens nicht im oder in das Kosovo verschickt werden. Geldsendungen in das Kosovo können - illegal- über kosovo-albanische Reiseagenturen durchgeführt werden. Dieses gilt jedoch nicht für Ashkalija und Roma: zu groß ist das Risiko, das Geld könnte den faktisch vogelfreien Angehörigen dieser Minderheit vorenthalten werden. Auch stellt das andersartige Aussehen dieser Menschen unterwegs zur Agentur eine reale Gefahr für Leib und Leben dar. Fernsehen ist nur möglich, wenn es Elektrizität gibt. Verfolgung und Vertreibung von Ashkalija und Roma im Kosovo. Diese geht, ungeachtet aller Lippenbekenntnisse albanischer Politiker, auch heute noch weiter. Dabei kann beobachtet werden, daß nicht nur mit Gewalt, wie in Vucitrn, sondern vor allem mit subtilen Mitteln auf eine Flucht dieser Minderheit hingearbeitet wird:
In dieser Situation erhalten Ashkalija und Roma keinen wirksamen Schutz durch Albaner, KFOR oder UNMIK-Polizei. Ashkalija und Roma sehen sich einer mittelbaren staatlichen Verfolgung ausgesetzt, wenn man davon ausgeht, daß die UNO-Verwaltung (UNMIK) als quasistaatliche Institution und die im September 1999 aufgelöste, aber als parallele Struktur ungebrochen im Untergrund weiter arbeitende UÇK faktische Macht ausüben. Die Internationale Presse nimmt die auch jetzt noch stattfindenden Menschenrechtsverletzungen an Ashkalija und Roma, anders als bei Serben, nicht wirklich zur Kenntnis.
Empfehlungen im Kosovo/a Nach Meinung vieler Albaner wird die Spitze der früheren UÇK, Hashim Thaçi und Agim Çeku viel zu sehr von der Internationalen Gemeinschaft, vor allem der USA, hofiert. Hier läge wohl der Schlüssel, die rassistischen Vertreibungen zu beenden. Die Kräfte um Ibrahim Rugova mit seinem Ministerpräsidenten Dr. Bujar Bukoshi sollten unbedingt gegenüber den Radikalen um Thaçi und Çeku gefördert werden. Dr. Bukoshi kann schließlich nicht der Kumpan einer rassistischen Politik mit maffiösen Strukturen bezichtigt werden. Gemeinden, die den Verfolgungs- und Vertreibungsdruck gegen ihre Minderheiten aufrechterhalten und Rückkehrer daran hindern, an ihrem Heimatort Fuß zu fassen, sollten von der Finanzierung des Wiederaufbaus ausgeschlossen werden. Internationale Organisationen, auch NGO´s, sollten bei allen Kontakten mit und ihrer Arbeit für Minderheiten auf die Verwendung ethnisch albanischer Dolmetscher verzichten und auf das Potential vorhandener Sprachkundiger unter den Minderheiten zurückgreifen. Roma und Ashkalija sind in der Regel nicht bereit, unbefangen in Gegenwart von Albanern über ihre Situation zu sprechen, aus Angst, der Inhalt dieser Gespräche werde auf die eine oder andere Weise, freiwillig oder unter Zwang, der UÇK oder andern radikalen Einzelpersonen und gruppen zugängig gemacht und habe Racheakte zur Folge.
Empfehlungen in Deutschland: Auch hier sollte in Ausländerbehörden, dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und den Verwaltungsgerichten darauf geachtet werden, daß die Verwendung ethnisch albanischer Dolmetscher die Wahrheitsfindung beeinträchtigt. Es stehen genügend kroatische und serbische Dolmetscher zur Verfügung, und jeder Rom oder Ashkali beherrscht die serbo-kroatische Sprache. Auf keinen Fall sollten Ashkalija und Roma in das Kosovo abgeschoben werden. Es mehren sich die Berichte von Übergriffen kosovo-albanischer Flüchtlinge in Deutschland gegen Zigeuner, denen auf diese Weise vermittelt werden soll, daß es für sie keinen Platz mehr im Kosovo geben werde.Diesen Berichten sollten die zuständigen Behörden nachgehen und einen wirksamen Schutz für Ashkalija und Roma gewähren. Eine räumliche Trennung könnte diese Probleme vermeiden. helfen. Heidelberg, 22.2.2000 |
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