10 Jahre Schwetzinger Tibethilfe

Liebe Mitglieder,

Herr Brückner hatte sehr interessante Freunde in Kaschmir und Ladakh. U.a. waren das der Tourist Officer von Ladakh, der uns in praktischen Dingen sehr half, der Abt des Klosters Thikse, der uns seinen Jeep mit Fahrer für hochinteressante Touren zur Verfügung stellte und uns im Kloster übernachten ließ und schließlich der Schulleiter der tibetischen Schule im tibetischen Kinderdorf Choglamsar, einer Siedlung ähnlich der in Mussoorie. Dies war das erste Kinderdorf für tibetische Flüchtlinge, das wir damals zu dritt in Ladakh besichtigten. Mit dem Schulleiter wie auch mit jenem Herrn Brückner hielt ich weiterhin Kontakt und blieb auf diese Weise lange Zeit in Verbindung mit Menschen, die sich um die Probleme von Tibetern im Exil widmeten. Ich interessierte und informierte mich über tibetische Kultur, über politische und gesellschaftliche Probleme der Tibeter im Exil, traf 1986 den Dalai Lama und im Laufe der Zeit wuchs in mir der Wunsch, für ein Jahr meinen Schulalltag zu unterbrechen (ich bin Lehrer am Wirtschaftsgymnasium hier in Schwetzingen) und ein Jahr in ein tibetisches Dorf in Indien zu gehen, um mehr über das Leben der Menschen dort zu erfahren und um zu Helfen. Wieder half mir der Kontakt zu Herrn Brückner, der mich mit seinen Verbindungen zu Mitarbeitern der tibetischen Exilregierung in Dharamsala unterstütze, indem er mir den Kontakt zum damaligen Kultusminister Lodi Gyari, der sich zufällig bei ihm in Frankfurt aufhielt, vermittelte. Dieser war sehr aufgeschlossen gegenüber meinem Anliegen und empfahl mir Mussoorie oder das weiter nördlich im Himalaya gelegene Bär als mögliche Orte. Mussoorie ergab sich schliesslich als mein endgültiges Ziel, da der damalige Leiter des dortigen Kinderdorfes, Herr Tsering Dorjee, ebenfalls ein Freund von Herrn Brückner war. ...

 

Nachdem von tibetischer Seite also keine Einwände gegenüber meinem Projekt bestanden, musste ich mich um meine Beurlaubung durch das Oberschulamt bemühen - sie wurde mir, dank der grossen Unterstützung meiner Kollegen, die sich verpflichtet hatten, meinen Unterricht zu übernehmen, gewährt. Für mich bedeutete dies allerdings ein Jahr ohne Gehalt bei hohen laufenden Belastungen und so manch einer meiner Kollegen schalt mich einen Unvernünftigen; ich würde meine gesicherte Existenz verlassen, auf mein Einkommen verzichten und mich in abenteuerliche indische Gefilde absetzen: Es gab die Vorstellung einer mittelalterlichen medizinischen Versorgung, grosser Armut, schlechter Kommunikationsmöglichkeiten - auch schien es unklar, ob es dort überhaupt geeignetes Essen für mich geben würde; ... die Vorstellungen über ein Dorf in Indien waren abenteuerlich und von Klischees geprägt - auch meine eigenen.

Ende Juli 1988 stand ich also mit wenig Gepäck und doch einer Menge Übergepäck durch Mitbringsel, Medikamente und Bücher, einen überdimensionalen Plüsch-Pandabären, den mein Freund Brückner mir als Geschenk für einen Freund mitgab, am Flughafen in Frankfurt, 2 Tage später in Delhi, und gelangte nach einem Umweg über Dharamsala, dem Sitz der tibetischen Exilregierung und des Dalai Lama, nach Mussoorie. Eine Begrüssungszeremonie gab es nicht, man hatte von meiner Ankunft gehört, man wies mir ein Zimmer im Gästehaus zu: zwei mal drei Meter waren nun mein Zuhause für das kommende Jahr. Heizung gab es nicht, warmes Wasser auch nicht, fliessendes Wasser manchmal morgens und abends - kurz: es gab einiges, woran ich mich zu gewoehnen hatte, auch an das Essen, die dünne Luft auf 2000 m Höhe, den starken Monsunregen, das frühe Aufstehen, die kalten Nächte im Winter, etc..

 

Ich hatte mich darauf eingestellt, in Mussoorie evtl. beim Bau irgendwelcher Häuser zu helfen; von meinen eigenen Renovierungsarbeiten brachte ich dafür einiges an Erfahrung mit. Es stellte sich jedoch schnell heraus, dass an der Schule mit 1000 Schülern, Lehrer wesentlich dringender gebraucht wurden. Und da Lehrer ja mein Beruf war, durfte ich gleich Mangelfächer unterrichten wie "indische Volkswirtschaftslehre" (die der deutschen nur von weitem ähnelt), Geografie (deren Lehrstoff ich mir aus Büchern selbst zusammensuchte) und Englisch (das ich aus meiner eigenen Schulzeit und von späteren Reisen kannte, mehr aber auch nicht). Nach zwei Wochen Hospitation bei einem tibetischen Kollegen war ich stolz darauf, Lehrer an einer richtigen tibetischen Schule zu sein - montags bis samstags von 9 - 16 Uhr; ein Samstag im Monat war frei. Nach dem Unterricht gab ich Nachhilfe in Englisch, das einzelnen meiner erwachsenen Schüler sehr schwer fiel (sie waren z.T. erst 2 Jahre zuvor aus Tibet geflohen und konnten kaum lesen und schreiben).

 

Zunächst hatte ich sehr wenige persönliche Kontakte in Mussoorie, ich tat meine Arbeit, brauchte lange Zeit, um mich auch physisch zu akklimatisieren und schrieb so viele Briefe wie nie zuvor und danach in meinem Leben. Tiefere Kontakte und Freundschaften ergaben sich erst später nach den Winterferien, die in Mussoorie dazu dienen, die Schüler vor der kalten Witterung ohne taugliche Heizmöglichkeit in Sicherheit zu bringen. In dieser Winterzeit lief allerdings auch meine Visum ab, so dass ich Indien verlassen musste, um im Ausland ein neues Visum zu erhalten. Dies erwies sich als wesentlich schwieriger als ich dachte, wahrscheinlich weil ich die richtigen Bakschischrituale nicht kannte, jedenfalls wartete ich in Sri Lanka lange zwei Monate erfolglos auf meine Papiere, versuchte dann mein Glück bei der deutschen Botschaft in Bangkok, erhielt dort einen neuen Pass und gelangte schliesslich nach insgesamt drei Monaten Odyssee Anfang Mai '89 wieder nach Indien zurück.

 

In der Zwischenzeit waren allerdings Freunde aus meiner Schule hier in Schwetzingen, die sich zu Ostern mit mir in Mussorie verabredet hatten, in Delhi eingetroffen - ein telefonischer Kontakt kam nicht mehr rechtzeitig zustande - sodass meine Kollegengruppe in Delhi am Flughafen stand und dort vergebens auf mich wartete. Glücklicherweise sprang Bhudschung, ein tibetischer Freund aus dem Kinderdorf in Mussoorie für mich in die Bresche: er war sicherheitshalber nach Delhi gefahren und machte die Gruppe von 7 Personen dort durch stundenlanges geduldiges Befragen aller Fluggäste ausfindig und begleitete sie - besser als ich es je gekonnt hätte - zwei Wochen lang durch Nordindien, zeigte ihnen Mussorie und versuchte ansonsten jeden Wunsch von ihren Augen abzulesen. Diese Gruppe ist später sehr wichtig geworden für die Entstehung der Schwetzinger Tibethilfe - wer weiss, ob das alles genauso gut gelaufen wäre, wenn ich dabei gewesen wäre.

Ich unterrichtete jetzt noch 3 Monate an der "Homes-School". Im Juli '89' - kurz vor meiner Abreise, erhielt ich die Einladung zu einer Audienz beim Dalai Lama in Dharamsala. Er wollte vor allem alles über meine Erfahrungen als Lehrer der tibetischen Jugendlichen wissen, wie sie in Indien zurechtkämen, wie fleissig sie lernten, wofür sie sich interessierten, wo ihre Probleme wären, ob sie wieder zurückwollten, etc.. Er erklärte mir damals, wie wichtig es wäre, über die Situation der Tibeter zu berichten, in Kontakt zu bleiben und wenn möglich auch längerfristige Hilfe zu organisieren.


Nach meiner Rückkehr nach Deutschland Ende Juli '89 blieben mir noch wenige Wochen, dann war mein Jahr abgelaufen und ich musste mich wieder den europäischen Lebensrhythmen anpassen. Natürlich erzählte ich viel von meinen Eindrücken, hatte viele Ideen und Vorhaben, was ich aus meinen Erfahrungen machen wollte: ich dachte an einen Bildband, verwarf die Idee eines Buches wieder, wollte Gelder sammeln, um in Mussoorie eine Lehrwerkstatt für Kfz-Mechaniker aufzubauen.

 

Vor allem mit denen, die mich dort teils vergeblich, teils erfolgreich versucht hatten zu besuchen und die die Situation dort kennen gelernt hatten, knobelte ich intensiv daran, was getan werden könnte, um diese Erfahrung nicht als Souvenir in einem Bilderalbum einzumotten, sondern etwas daraus werden zu lassen, was den Tibetern, die mir dieses Jahr trotz eigener schwieriger Bedingungen ermöglicht hatten, zurückgegeben werden könnte.

 

So entstand, nachdem eine Satzung formuliert war, mit der Gründungsversammlung in einem Schwetzinger Wohnzimmer im Herbst '89 die Schwetzinger Tibethilfe. Volker Neureither, seither unser Schatzmeister, also derjenige, der v.a. die gesamte Organisation der Patenschaften und der Finanzen abwickelt, war massgebend bei der Entstehung und Entwicklung des Vereins beteiligt.

 

Ursprünglich war es aber nicht geplant, hauptsächlich Patenschaften zu betreuen. Patenschaften wurden schon von so vielen Vereinen betreut und wir dachten, es gäbe vielleicht Wichtigeres in Form von Projekten zu initiieren. Erst im Laufe der Zeit lernten wir, dass wir als kleiner Verein eine grosse Nachfrage nach Patenschaften weckten. Allein aufgrund der Tatsache, dass jemand jemanden kannte, der jemanden kannte, der Mitglied war und dass dadurch Vertrauen geweckt wurde, dass die Gelder dorthin kämen, wohin man sie spenden wollte. Inzwischen sind Patenschaften zu unserer Hauptarbeit geworden ist. Wir haben im Moment etwa 135 Patenkinder, die von unseren Mitgliedern gefördert werden.

Wir lernten aber auch, durch heftige Erfahrungen, dass Projekte, wenn sie gut sein sollen, unendlich viel Sachkenntnis und Arbeit erfordern, die uns, die wir ja alle auch nebenbei noch ein wenig berufstätig sind, an den Rand unserer Kapazitäten brachte. Und schliesslich hörten wir auch von Mussoorie, dass verlässlich (d.h. regelmässig und langfristig) fliessende Gelder für die Organisation eines grossen Kinderdorfes viel wichtiger sind, als die Initiierung prestigeträchtiger Projekte.

 

So wurden wir im Laufe der 10 Jahre und mit manchem Lehrgeld ein Verein, der überwiegend Patenschaften betreut und sich gelegentlich an ein Projekt wagt, wie etwa den Bau eines Lehrerwohnheimes im Jahre '97, die Finanzierung von Kühlschränken für 27 Kinderheime oder die Betreuung eines Stipendiums in Kooperation mit der Carl-Duisberg-Gesellschaft/Berlin-ASA-Programm, zur Erstellung einer Informationssschrift im Jahre 1997-98. Das Interessante an der Arbeit in unserem Verein ist, dass wir immer weiter dazulernen und dass der Kontakt nach Mussoorie immer dichter wird.

Was uns sehr zufrieden und dankbar sein lässt ist, dass die Resonanz hier in Deutschland stetig steigt, so dass wir, ohne viel Werbung zu betreiben, von Jahr zu Jahr mehr Mitglieder und Förderer finden. Was uns aber bis heute wichtig erscheint, ist insofern ein kleiner Verein zu bleiben, als die Verwaltungskosten niedrig und die persönlichen Strukturen durchschaubar bleiben, so dass das Vertrauen bestehen bleibt, dass die Gelder dort ankommen, wo sie hingehören. Es ist wenig genug, was ein Kind in Mussoorie als Tagessatz erhält:1,30 DM. Aus diesem kleinen Betrag die Basis für eine Zukunft zu bauen, indem Gesundheit und Bildung eines einzelnen jungen Menschen gewährleistet werden, das ist das, was uns alle hier als Ziel verbindet. Der Verein wäre nicht das, was er ist, ohne die Mitglieder und Helfer; dafür danken wir Ihnen von Herzen. Soviel zur Vergangenheit. 

 

Die Gegenwart des Vereins lässt sich in drei Zahlen zusammenfassen:
Die Schwetzinger Tibethilfe e.V.
hat fast 200 Mitglieder, über. 135 Patenschaften und ein Spendenvolumen von ungefähr 80 000 DM pro Jahr.

 

Und die Zukunft?
Keine ehrgeizigen Projekte - aber weiterhin das Bewährte: Wir wollen weiterhin in engem Kontakt zu Mussoorie bleiben, in Gesprächen und Besuchen vor Ort den Bedarf erheben und den Einsatz der Spenden überprüfen. Wir wollen weiterhin Patenschaften betreuen, vereinzelt grössere Geldsummen für anstehende Projekte sammeln und überweisen. Und wir wollen vor allem weiterhin in Kontakt bleiben mit der tibetischen Kultur, unseren Freunden, (denn im Laufe der Jahre sind aus Bekanntschaften viele feste Freundschaften geworden) und wir wollen auch unserer Freude Ausdruck verleihen an den Kontakten, die wir hier in Deutschland haben.

Franz Maucher, 26. September 1999

       

 

 

 

 

Weihnachtsbrief 1999/2000 

Liebe Mitglieder und Freunde der Schwetzinger Tibethilfe,

dieser Tage erhielt ich einen Brief per e-mail aus Indien von einer Frau, die sich zur Zeit auf einem längeren Indien-Aufenthalt befindet. Sie war auch kurz in Mussoorie und schreibt: "Es ist wunderbar, wie die Schwetzinger Tibethilfe in den Tibetan Homes geholfen hat und ich werde mich auf jeden Fall wieder melden, wenn ich zurück in Deutschland bin." Diese Rückmeldung hat uns sehr gefreut.

Unser Verein ist ein relativ kleiner Verein, wir haben kein spezielles Büro, keine angestellten ArbeitskrŠfte, die Telefonate oder Briefverkehr für uns erledigen - dafür haben wir überschaubare Strukturen und das ist gut so. Dieser Weihnachtsbrief entsteht also auch nicht in einem Büro, sondern an meinem Wohnzimmertisch; von der KŸche her dringt der Geruch von Früchtebroten, die im Ofen schmoren und diesmal hoffentlich nicht wieder zu schwarz werden. Draussen regnet und stŸrmt es - eine ganz normaler vorweihnachtlicher Samstagnachmittag also. Kein schlechter Zeitpunkt, um das letzte Jahr Revue passieren zu lassen:

1999 war ein besonderes Jahr für uns, denn wir haben im Oktober unser 10-jŠhriges JubilŠum gefeiert. Viele von Ihnen haben sich auf den Weg zu uns gemacht, viele haben uns sehr nett geschrieben, auch wenn sie nicht kommen konnten. Wir sind beschenkt worden durch viele, die zum Gelingen des Festes beigetragen haben: tibetische Kšche, die bis zum Umfallen an einem delikaten Büffet gearbeitet haben, Musiker aus Mannheim, die uns einen beschwingte Stimmung beschert haben, dem Schwetzinger Oberbürgermeister von Schwetzingen, Herrn Kappenstein, der uns mit einer Ansprache gratulierte, Mitglieder und Freunde, die ihre kunsthandwerklichen Artikel ausgestellt und zum Verkauf angeboten haben und durch jeden einzelnen Gast, der mit uns gefeiert hat, Geld gespendet hat und vielleicht auch eines der von den tibetischen Kindern gemalten Bildern erstanden hat. Spendenbox und Bilder erbrachten. Übrigens über 2000 DM.

Wir sind inzwischen 200 Mitglieder und betreuen über 130 Patenkinder, StudentInnen (davon eine in Osttibet), bedürftige Erwachsene und alte Menschen. In den letzten 10 Jahren erhielten wir über 350 000 DM Spenden. Auch in diesem Jahr haben Sie wieder treu zu uns gehalten und grosszügig mit Ihren Spenden zur weiteren Verbesserung des Lebensstandards im Happy Valley beigetragen. Die neueste Entwicklung in Mussoorie und Radschpur richtet sich verstärkt an den alten Menschen aus: ein Altenheim soll ganz neu gebaut werden, eine kleine Wohnsiedlung soll entstehen für Mitarbeiter von Tibetan Homes, die alt geworden sind und sich dort zur Ruhe setzen können. Ihre Unterstützung und Ihr Vertrauen sind unentbehrlich und geben uns viel Schwung unsere Arbeit fortzusetzen.

Unsere Ziele für das nächste Jahrtausend sind gross: wir würden gerne weiterhin sein, was wir jetzt schon sind: ein kleiner überschaubarer Verein, der das Vertrauen seiner Mitglieder geniesst - und der für die tibetische Siedlung in Mussoorie und Radschpur als zuverlässiger Partner nützliche finanzielle und ideelle Unterstützung anbietet - und das solange, bis die Tibeter uns hoffentlich eines Tages nicht mehr brauchen. Nicht mehr und nicht weniger.

Ich danke Ihnen von Herzen auch im Namen meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Ihre Beteiligung an unserer Arbeit und wünsche Ihnen und Ihren Angehörigen schöne und erholsame Weihnachtsfeiertage und ein gutes Hinüberkommen ins nächste Jahr(tausend).

Ihr
Franz Maucher
Vorsitzender STH e.V.